Bringing Up Baby

Screwball Comedy

1. Dezember 2008 bis 7. Jänner 2009
 
Ab 1. Dezember widmet sich das Filmmuseum der Screwball Comedy jenem populären Strang der amerikanischen Filmkomödie, der vom furiosen Kampf der Geschlechter, von schnellem Dialogwitz und exzentrischen Charakteren geprägt ist. Die Screwball Comedy entstand um 1934 im Zeichen der abklingenden Depression sowie der verschärften Zensurbestimmungen in Hollywood. Bis in die Kriegsjahre hinein entsprangen diesem Subgenre einige der beliebtesten Klassiker der Roosevelt-Ära – It Happened One Night (1934), Bringing Up Baby (1938), Bluebeard’s Eighth Wife (1938), The Philadelphia Story (1940) oder The Lady Eve (1941). Den berühmten Beispielen des Genres stellt das Filmmuseum eine breite Auswahl echter Wiederentdeckungen zur Seite. Anhand einiger Schlüsselfilme verweist die Schau auch auf die Vorläufer der frühen 30er Jahre und die versuchte Screwball-Wiederbelebung nach 1945.
 
Ungewiss bleibt, wie sich der Name des Genres herleitet. Die häufigste Erklärung stammt aus dem Baseball-Sport: Beim Werfen eines „screwballs“ ist der Flug des Balls nicht vorhersehbar – ganz so wie die verrückten Charaktere der betreffenden Filme. Klarer sind die sozialen, ökonomischen und produktionstechnischen Koordinaten der Gattung: Die Verstärkung des „Production Code“ in Hollywood machte eine direkte Wiedergabe sexueller Inhalte unmöglich. Die offenherzigen Konversationen und Dreiecksbeziehungen der sex comedies von Ernst Lubitsch (z.B. Design for Living, 1933) wurden in den Screwball-Filmen sublimiert – in anspielungsreichen Dialogen und überdrehtem Verhalten der Figuren.
 
Gerade das regressive Element vieler Screwball-Charaktere erscheint auch wie eine Rebellion gegen die absurden neuen Zensurauflagen, dank derer selbst verheiratete Filmpaare nur mehr in getrennten Betten schlafen durften. Die Parodie darauf lieferte einer der Screwball-"Gründerfilme" des Jahres 1934, Frank Capras It Happened One Night; in einem zweiten, Howard Hawks' Twentieth Century, feiert der egoistische Exzess der Kindheit fröhliche Urständ' im Schauspielermilieu.
 
Der dritte Screwball-Erfolg von 1934, The Thin Man, kreuzt Dashiell Hammetts Krimivorlage mit selbstbewusst-komischen Wortgefechten zwischen Mann und Frau. Er zeigt, wie sich das Erbe der „Pre-Code“-Komödien ins Screwball-Format übersetzt: Blicke und Andeutungen (sowie herausgestreckte Zungen) müssen nunmehr die sexuelle Spannung erzeugen. Die rasenden Rededuelle der Vorläuferfilme blieben erhalten, aber die Frechheiten galten nun eher dem Leinwandpartner als der gesellschaftlichen Norm – in dieser Hinsicht ist die Screwball Comedy eher restaurativ.
 
It Happened One Night erscheint wie eine New-Deal-Allegorie: Claudette Colbert als erste der vielen verzogenen reichen Screwball-Erbinnen lernt anhand des vom Pech verfolgten Reporters Clark Gable die Vorzüge des common man schätzen; dieser jedoch macht ihr erst einen Antrag, als er sich finanziell bewiesen hat. Als starke, eigenständige Frau, die ihrem männlichen Gegenüber Paroli zu bieten weiß und dennoch das „Modell Ehe“ wählt, ist Colbert auch Vorbild für viele gezähmte Widerspenstige der Screwball-Ära. Das Genre lebt von der ironischen Konfrontation solcher Widersprüche: arm-reich, smart-dumm, ehrlich-betrügerisch, gebildet-unerzogen und vor allem: männlich-weiblich. Innerhalb dieser Gegensätze laufen die Handlungsmotoren auf Hochtouren.
 
Während Capra seine populistischen Zeitkomödien immer stärker in Richtung Drama trieb, offerierte der geniale Improvisator Gregory La Cava mit My Man Godfrey (1936) ein Vorbild für die Screwball-Sozialkomödien der nächsten Jahre. Er verhandelte Armut als Farce, in der den Reichen vom (vermeintlichen) Slum-Bewohner wieder Manieren beigebracht werden; andere Filme dieses Strangs bringen den Börsenkrach (Easy Living, 1937) oder alleinerziehende Mutterschaft (Bachelor Mother, 1939) zur Sprache.
 
Gleichzeitig etablierte Meisterregisseur Leo McCarey mit The Awful Truth (1937) einen zweiten Hauptstrang, die vielzitierte „comedy of remarriage“: Ein Ehepaar will sich scheiden lassen, bevor beiden im letzten Moment klar wird, dass sie zusammen mehr Spaß haben als getrennt. Mit Cary Grant in der Hauptrolle des Films war auch der perfekte Star der Screwball Comedy gefunden. Trotz der zentralen Beiträge zum Genre, die Darsteller/innen wie Carole Lombard, Katharine Hepburn, Irene Dunne, Barbara Stanwyck, Henry Fonda oder William Powell lieferten, blieb Grant der quintessenzielle Screwball-Schauspieler: Niemand sonst ließ unwahrscheinliche Drehbücher und auf den Kopf gefallene Figuren so normal und natürlich erscheinen.
 
In der Hochblüte des Genres hatte Grant einige seiner größten Auftritte: bei George Cukor in Holiday (1938) und The Philadelphia Story, bei Hawks in Bringing Up Baby und His Girl Friday (1940). Doch mit Kriegsbeginn begann die Popularität der Screwball Comedy zu bröckeln. In den Meisterstücken The Lady Eve und The Palm Beach Story (1942) trieb Preston Sturges jene Konventionen, die er als Drehbuchautor einst mit-etabliert hatte, in so schwindelerregende Höhen, dass sich das Genre nie wieder davon erholen sollte. Außerdem verlangte die Filmproduktion der Kriegsjahre nach ernsteren und "patriotischeren" Themen.
 
George Stevens gelang es zweimal, diese Trendwende in faszinierender Weise mit dem Screwball-Modell zu verbinden (The Talk of the Town und The More the Merrier). Zugleich etablierte sich aber ein anderes, konservativeres Frauenbild, in das die Screwball-Heldinnen nicht mehr hineinpassten. Auch die Versuche, nach 1945 wieder an die Gattung anzuknüpfen, blieben eher verrückte Einzelstücke – wie Cary Grant als männliche Kriegsbraut in Howard Hawks' brilliantem Film I Was a Male War Bride (1949). Die komödiantische, emanzipatorische US-Version der französischen amour fou hatte ihr vorläufiges Ende erreicht.
 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung der US Embassy und in Zusammenarbeit mit dem BFI National Archive statt.
Zusätzliche Materialien