Ivanovo detstvo, 1962, Andrej Tarkovskij

Andrej Tarkovskij

5. bis 25. März 2009
 

Andrej Tarkovskij ist einer der wenigen Großen des Kinos, deren Namensnennung allein eine ganze Ideenwelt evoziert – selbst bei Menschen, die noch nie einen seiner Filme gesehen haben. Manche, die dem Kino insgesamt eher fern stehen, begrüßen sein Werk im Konzert der hohen Künste: als „Ausnahmefall“. Als solcher ist Tarkovskij wiederum ein Fall für viele: für Mystiker wie Formalisten; für Bildungsbürger, die in ihm den Erben der russischen ­Literatur des 19. Jahrhunderts erkennen (und sein enormes Wissen über die westliche Kunst- und Musikgeschichte in den Filmen eingeschrieben finden); für Aussteiger aus dem geschäftigen Betrieb der Gesellschaft, die sich an Tarkovskijs Pilger- und Wanderer-Figuren orientieren; oder für Teenager, die in der Zone des Stalker (1979) und am Ufer des Solaris-Ozeans (1972) erste, erschütternde Erfahrungen mit einem „anderen“ Science-Fiction-Kino machen.

 

Er ist ein Fall für Bresson, Bergman und Kurosawa (die sein Werk ebenso innig verehrten wie er das ihre) und für Komponist/innen, die ihm im Feld von Pop (Björk), Ambient (Robert Rich) oder der Neuen Musik (Luigi Nono, Toru Takemitsu) Tribut zollen; ein Fall für Jean-Paul Sartre (der Tarkovskijs Debüt Iwans Kindheit 1962 in einem flammenden Brief gegen die Anwürfe der linken Presse Italiens verteidigte) und für zahlreiche Künstler/innen, die in den letzten Jahren mit Videos und Installationen sein Werk umkreisten.

 

Die Vielfältigkeit dieser gesamtkulturellen Kanonisierung schützt freilich nicht vor der Gefahr, dass Tarkovskijs Schaffen zu einer Idee bzw. einem Klischee erstarrt: das Heilige in Filmgestalt. Man kann dieser Gefahr nur begegnen, indem man immer wieder – oder zum ersten Mal – mit den Filmen selbst in Kontakt tritt. Es sind nicht viele: sieben große Spielfilme, entstanden zwischen 1962 und 1986; ein dokumentarischer Essay, den er 1983 mit dem italienischen Autor Tonino Guerra im Zuge der Arbeit an Nostalghia drehte; und drei kurze bzw. mittellange Hochschulfilme. Hilfreich sind auch die Filme über Tarkovskij (darunter solche von Chris Marker und Aleksandr Sokurov) – nicht nur ob ihres Informationsgehalts, sondern auch als Beispiele für die unterschiedlichen Formen von „Ikonenmalerei“, die am Bild von Andrej Tarkowskij beteiligt sind.

 

Tarkovskij wurde 1932 als Sohn des Lyrikers Arsenij Tarkovskij geboren, wuchs aber bei seiner Mutter Maria Višnjakova auf. Die Werke des Vaters sind in seinen Filmen sehr präsent; das auto­biografische Meisterwerk Der Spiegel (1975) hat in seiner freien, nichtlinearen Entwicklung sogar selbst die Gestalt eines Gedichts (und stellt zugleich die Figur der Mutter ins Zentrum). Nach einem Studium asiatischer Sprachen und der Teilnahme an einer ­geo­logischen Expedition schrieb sich Tarkovskij 1955 am VGIK, der Moskauer Filmhochschule ein. Zu seinen Heroen jener Tage zählten die Neorealisten und Henri-Georges Clouzot; zudem faszinierte ihn die expressiv-gestische Bildsprache im damals aktuellen Schaffen von Michail Kalatozov (Wenn die Kraniche ziehen). Die für Tarkovskij so ­typische Arbeit mit Zeitfluss-Einheiten und gletscherartigen Plansequenzen entwickelte sich nach und nach – erst in der zweiten Hälfte seines Schaffens wird sie zur zentralen gestalterischen Maßgabe seiner Kunst.

 

Tarkovskijs Probleme mit der Obrigkeit begannen schon mit dem Abschlussfilm Die Walze und die Geige (1961), der Skepsis gegenüber Macht und Autorität bekundete. Abgesehen von Solaris hatte er bei allen seinen Werken mit den heimischen Kulturkonservativen zu kämpfen, und bei Nostalghia wurde es ihm zu viel: Nach den Dreharbeiten in Italien kehrte er nicht mehr in die Sowjetunion zurück. Tarkovskij pendelte nun zwischen Mailand, London, Westberlin, Schweden (hier entstand sein letzter Film, ­Opfer) und Paris, wo er im Dezember 1986 an Lungenkrebs starb.

 

Die andere Seite seiner Beziehung zur UdSSR wurde im Westen kaum wahrgenommen: Tarkovskij sah sich als sowjetischer Filmemacher und als Profi seines Metiers – er schrieb nebenher Drehbücher für Genrefilme, unterrichtete am VGIK und beteiligte sich am institutionellen Alltag seines Studios. Sein Debüt war ein ­Ge­legenheitsprojekt: Ein anderer hatte Iwans Kindheit begonnen und die Produktion nicht in den Griff bekommen. Tarkovskij sprang für das Studio in die Bresche und vollendete das – gemäß seinen Inter­essen umgearbeitete – Projekt innerhalb des Zeit- und Budget­rahmens. Tarkovskijs Filme sind also nicht nur Meditationen eines „Schamanen“ über das Ewige, er war auch stets ein Zeitgenosse. Das Epos Andrej Rublev (1966-69) etwa ist ein typisches, wenngleich verspätetes Werk der sowjetischen „Tauwetter“-Periode.

 

Am Ende war es vielleicht nicht so sehr das Spirituelle an sich, das die Bonzenschaften der UdSSR an seinem Kino so nervös machte, sondern die Ahnung, dass sich in seinen Werken der religiöse Kern des Sowjet-Kommunismus kristallisierte. Mit ähnlichen Problemen müssen aufgeklärte, progressiv gestimmte West-Intellektuelle zurechtkommen: Sie haben es bei Tarkovskij mit einem Apokalyptiker zu tun, der Wasser, Feuer, Wind und Erde filmisch zu feiern verstand wie kaum ein anderer. Ein Vernunft- und Sprachskeptiker, der wortreich gegen die Avantgarde zu Felde zog, in seinen Formgebungen aber zu den avanciertesten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt. Ein anti-modernes Axiom der Moderne.

 

Zur Eröffnung der Schau werden, dank der Kooperation mit dem Russischen Kulturinstitut, drei wesentliche „Komplizen“ Tarkovskijs im Filmmuseum zu Gast sein: Nikolaj Burljaev (u. a. Hauptdarsteller in Iwans Kindheit"), der Schauspieler Jurij Nazarov und der große Kameramann Vadim Jusov, der bis inklusive Solaris" den visuellen Stil von Tarkovskijs Filmen prägte.

 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung des VGIK, der Moskauer Filmhochschule statt, die in diesem Jahr ihr 90-Jahr-Jubiläum feiert.
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