Pierrot le fou, 1965, Jean-Luc Godard

Filmfarben

9. April bis 7. Mai 2010
 
„Mit der Farbe im Film“, schreibt Frieda Grafe, „gab es immer Scherereien. Sie war mit dem bloßen Wiedergabe-Realismus des Kinos schwer in Einklang zu bringen. Sie machte den Bildern eine Aura. Sie war ein Wahrnehmungsluxus.“ Und sie war etwas, das jenseits der Handlung und jenseits der Ratio wirkte: ein Exzess, eine Verführung, eine dunkle, märchenhafte Kraft. Nicht zufällig erstarkte sie vor allem in jenen Gattungen, die ohnehin zum Überschwang und zum entgrenzten Fließen der Gefühle neigen: im Musical und Melodram, im Abenteuerfilm und im fantastischen Kino. Erst in den späten 60er Jahren, als neben dem Mainstream-Kino auch die TV-Nachrichten durchgängig farbig wurden, wandelte sich die gesellschaftliche Bedeutung der Filmfarben: Sie künden nun immer weniger vom Spektakulären und Fantastischen, vom „Gemachtsein“ der Medien­bilder und werden mehr mit „Realismus“ identifiziert.

 
Die Retrospektive Filmfarben ist die erste große Darstellung des Themas in Österreich. Sie führt vom frühen, handbemalten Film und den schablonenkolorierten Trickfilm-Märchen der Firma Pathé über die große Ära von Technicolor (und dessen „Bezwinger“ Agfa- bzw. Eastmancolor) bis zu den grandiosen Farbexperimenten des modernen italienischen und französischen Kinos. Letztere reflektieren – wie schon einige ihrer Hollywood-Vorläufer – die „technischen“ Farbwelten der 50er und 60er Jahre: filmische Op-Art und Pop Art, das neue Reich der Acryl-, Bonbon- und LSD-Farben.
 
Das Programm präsentiert 35 Spielfilme und mehr als 50 farbversessene Arbeiten im kürzeren Format. Die Auswahl reicht von Oskar Fischinger und Walt Disney bis zu Beispielen aus Japan und dem indischen Bollywood-Kino. Sie beginnt um 1900 und greift aus bis zum frühen 21. Jahrhundert: Alain Resnais‘ jüngster Film Les Herbes folles (2009), ein grandioses Beispiel zeitgenössischer Filmfarbenkunst, wird am 10. April als Österreich-Premiere vorgestellt.
 
Heute ist nahezu jeder Film farbig. Eine bewusste und mutige Gestaltung der Filmfarben stellt aber eher die Ausnahme dar. Man kann kaum mehr die ästhetischen, ökonomischen und technischen Anstrengungen ermessen, die einst für die Farbgebung im Kino ­unternommen wurden. Farbe, das war die „vierte Dimension“ des Films: Nahezu jeder große Meister hat sich am Höhepunkt seines Schaffens intensiv mit ihr beschäftigt. Da ihre Wirkung, ihr „Fluidum“ so schwer zu beschreiben (und überaus flexibel) ist, wurde sie von der Filmkritik und -theorie aber gerne ausgeblendet: Es gibt kaum nennenswerte Analysen zur Farbe im Film. Frieda Grafes ­Texte zählen zu den raren Höhepunkten – Filmfarben ist nach dem ersten Band ihrer Werkausgabe benannt und lässt sich leiten von den Vorlieben und Überlegungen, die sie darin formuliert.
 
Einer von Grafes zentralen Topoi findet sich auch in Chromo­phobia, David Batchelors bahnbrechender Studie über die Angst vor der Farbe in der westlichen Kultur. Beide zeigen, wie Farbe im ­dominanten Diskurs jahrhundertelang entwertet wurde: durch ihre Assoziation mit dem „Fremden“ (d. h. mit femininen, schwulen, orien­talischen, primitiven, infantilen, vulgären, pathologischen Kontexten) oder durch die Zuschreibung „unwürdiger“ Eigenschaften – oberflächlich, kosmetisch, unecht, untergeordnet. Gerade letz­tere Vorwürfe kennt das Kino selbst zur Genüge. So hat es sich mit der Farbe verbündet und deren utopische Potentiale genutzt: Der „Sturz in die Farbe“, den das westliche Über-Ich zu fürchten gelernt hat, wird im Kino gern zum Eintritt in ein reicheres, ­leidenschaft­licheres Dasein – von The Wizard of Oz (1939) und The Red Shoes (1948) bis Pleasantville (1998) oder Punch-Drunk Love (2002).
 
Die Firma Kodak entschied sich schon früh, in den 1910er Jahren, für leuchtstarke Begriffe, um die feinen Nuancen der Filmfarbenchemie zu beschreiben. Ihnen ist diese Schau gewidmet: „Peachblow“ und „Aquagreen“, „Purplehaze“ und „Nocturne“. Und natürlich allen, die virtuos mit diesen und tausend anderen Farben zu spielen vermochten: Avantgardisten wie Sergej Eisenstein, Len Lye, Stan Brakhage, Marie Menken oder Paul Sharits; Trickkünstler wie Georges Méliès, Max & Dave Fleischer, Norman McLaren oder Chuck Jones; klassische Erzähler wie Hitchcock, Renoir, Ozu, Hawks oder Visconti; amerikanische „Vulgärmodernisten“ wie ­Vincente Minnelli, Frank Tashlin, Jerry Lewis und Douglas Sirk; oder europäische Kunstfilm-Autoren wie Antonioni, Godard, Bergman, Tati, Fassbinder und Rohmer, die dem Alltäglichwerden der Kinofarben ein spätes Farbenfest entgegengesetzt haben, manchmal knallig, manchmal subtil, mit Vorbildern von Warhol bis Matisse.
 
Zu ihnen gesellen sich zahlreiche anonyme Akteure – jene faszinierenden, zum Teil sehr kurzlebigen Prozesse und Techniken, die die Entwicklung des Farbfilms begleitet haben. Auch sie werden hier zur Anschauung gebracht – das britische „Kinemacolor“ (ab 1906) und Gaumonts „Chronochrome“ (1912), das „Gasparcolor“ der 30er Jahre oder „Kodachrome“, für viele das schönste Farbsystem aller Zeiten.
 
Sie waren durchwegs flüchtig – so wie alle Versuche, Farbe und Farberinnerung festzuhalten oder restlos zu erhalten. Viele der gezeigten Kopien sind das Ergebnis aufwendiger Restaurierungen in den letzten Jahren, einige stammen aus der Ursprungszeit der betreffenden Filme (z. B. im Fall des sehr stabilen Technicolor). Aber die eine Farbenwahrheit gibt keine von ihnen preis: Filmfarbe erstrahlt, verfällt, kehrt in anderem Licht wieder zurück – sie geht den Weg allen Lebens. Wie bei jedem Fest zählt auch hier, bei dieser Retrospektive: die Wahrnehmung des Augenblicks.
 
Das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien bietet im Sommersemester 2010 eine Lehrveranstaltung zum Thema an: „Film, Farben", ein Forschungsseminar unter der Leitung von Susanne Marschall.
Zusätzliche Materialien