Schule des Sehens

Zum Vermittlungsprogramm für Schulen im Österreichischen Filmmuseum
 
Die "Schule des Sehens" beginnt nicht erst mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben oder in eine Universität. Bereits im Kindesalter werden wir mit bewegten Bildern konfrontiert. Mit einem erweiterten Vermittlungsprogramm möchte das Filmmuseum eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Bildern bei Kindern und Jugendlichen fördern.
 
Seit dem Anbruch der Mediengesellschaft wird von Lehrkräften und deren Schulklassen Medienkompetenz bzw. die Aneignung diverser alter und neuer Medien erwartet. In den letzten Jahren sind Filmbildung und Filmvermittlung als Teil der Medienbildung wieder beliebte Schlagworte der Politik- und Bildungsagenden geworden. Europaweit blühen Initiativen, die den Film in den Schulunterricht integrieren oder die Schulklassen ins Kino locken wollen. Da Kinder und Jugendliche durch Kino, TV, Computer und Handy sehr früh mit audiovisuellen Unterhaltungsformen konfrontiert sind, scheint der Film immer mehr zum geeigneten Mittel für den Schulunterricht zu werden: Lehrer/innen bedienen sich des beliebten Mediums als Vermittlungsbrücke zu ihren Schüler/innen. Die Versuche und Vorschläge, wie das geschehen soll, sind dabei sehr unterschiedlich.
 
In vielen europäischen Ländern wie z.B. den Niederlanden (www.filmeducatie.nl) und Großbritannien (www.filmeducation.org) ist Filmvermittlung an Schulen eine landesweite und landesweit geregelte Angelegenheit. Im deutschsprachigen Raum wird der Einsatz von Film im Unterricht von immer mehr Initiativen gefördert: Internetplattformen wie "Films in School" der Universität Münster, www.visionkino.de des Netzwerks für Film und Medienkompetenz, www.film-kultur.de des Instituts für Kino und Filmkultur, www.kinofenster.de der Bundeszentrale für politische Bildung (alle Deutschland) oder www.medien-lab.ch/film der Pädagogischen Hochschule Zürich (Schweiz) bieten Hilfe und Material für den Einsatz von Film an Schulen. Im Rahmen der Schul-Film-Woche "Lernort Kino" (www.lernort-kino.de) werden in Deutschland Schulklassen ins Kino geladen, um danach im Unterricht anhand von Materialien (angeboten vor Ort oder auf den oben genannten Webseiten) Themen des Filmes zu erörtern. Die wohl größte Initiative einer Schul-Film-Woche ist die National Schools Film Week in England, Wales und Schottland.
 
Manche Initiativen gehen von filmwissenschaftlichen/-kulturellen Institutionen aus: in der Schweiz etwa bietet das Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich Lehrerfortbildungen an; seit Herbst 2007 lädt die Deutsche Kinemathek gemeinsam mit Partnern im neuen "Filmbildungsprogramm für Schüler und Lehrer" Schulklassen ins Kino; und bei der diesjährigen Ausgabe des Filmfestivals in Rotterdam widmete sich eine Konferenz der Frage, was Filmemacher/innen (im Vergleich zu Pädagog/innen oder Wissenschaftler/innen) zu einer media literacy beitragen sollen und können. Filmbildung ist in der europäischen Agenda aktuell wie nie zuvor.
 
In Österreich wird Filmbildung an Schulen seit Jahrzehnten immer wieder thematisiert. Erwähnenswert ist der Einbezug von Filmschaffenden aus den unterschiedlichsten Sparten, die in der personellen Kunstvermittlung mit Schüler/innen und Lehrer/innen zusammenarbeiten. Diese Initiative forcierte und unterstützte der Österreichische Kultur-Service gegen Ende der 1980er Jahre immer stärker; 1990 kam es auch, unter Mitwirkung österreichischer Filmschaffender, zum 1. Österreichischen Schülerfilm-Festival. Weitere erwähnenswerte Initiativen sind die europäischen Cinedays im Jahr 2002 im Österreichischen Filmmuseum (vier Tage, 1.800 Besucher/innen), die seither in der Reihe "Schule im Kino" erfolgreich weitergeführt werden. Auch die "Aktion Der gute Film" war mehr als 40 Jahre lang eine österreichische Institution und Schnittstelle von Schule und Film; nach 1997 wurde sie aufgelöst und nur noch in Salzburg als "Aktion Film Salzburg" weitergeführt. In Wien können Lehrer/innen mit ihren Schulklassen in Sondervorführungen im Votiv-Kino aktuelle Spielfilme besuchen und sich Materialien für den Unterricht beschaffen (http://www.kinomachtschule.at/). Weiters hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit dem mediamanual.at eine Internet-Plattform für die aktive Medienarbeit an Schulen eingerichtet. Lehrer/innen können neben dem Erwerb von Basiswissen in Film-, Radio- und Medienerziehung auch in einer "e-Academy" spezifische Workshops mitverfolgen, die sie für den Unterricht einsetzen und weiterverarbeiten sollen. Eine andere Plattform ist das filmabc.at, das Anlaufstelle für Schüler/innen und Lehrer/innen zu filmspezifischen Fragen sein will. Unter anderem lädt es Schulklassen zu Filmvorführungen ein, an die sich Diskussionen mit Filmschaffenden anschließen ("Fünf mal Film"), und bietet umfassende Informationen rund um die Thematik Schule und Kino. Neu ist auch eine von heimischen Kinobetreibern ins Leben gerufene Schulaktion (www.schulkino.at), um den Schulklassen Kino/Film schmackhaft zu machen. Regionale Plattformen wie das BildungsMedienZentrum (BiMeZ) des Landes Oberösterreich (www.bimez.at) bieten neben (Multi)Mediendidaktik und -pädagogik immer wieder auf den Film ausgerichtete Initiativen. Auch die Diagonale - Festival des österreichischen Films widmet im Jahr 2008 der Filmbildung einen Schwerpunkt.
 
Trotz dieser Initiativen hinkt die schulische Filmbildung in Österreich, v.a. hinsichtlich struktureller Förderung und Verankerung, anderen Ländern Europas nach. Zudem kristallisiert sich in der aktuellen Filmvermittlung der Trend heraus, Schulklassen ins Kino zu laden und anhand beigelegten Unterrichtsmaterials Themen, die der Film "hergibt", besprechen zu lassen - im Unterricht oder direkt nach der Filmvorführung mit geschulten Medienpädagogen und/oder (prominenten) Filmemacher/innen. Dirk Fritsch und Eva Schäfer, die in Deutschland die Initiative "Lernort Kino" gegründet haben, machten bei solchen Veranstaltungen die Erfahrung, dass Lehrkräfte zwar gerne mit Schulklassen ins Kino gehen, sich selbst aber die Filmvermittlung im eigenen Unterricht nicht zutrauen. In einem Aufsatz schreiben die beiden Medienpädagogen: "Auf Nachfrage wurde häufig mitgeteilt, dass noch nie eine Aus- oder Fortbildung zum Bereich Filmlehre besucht wurde." Auch deshalb gehen viele Lehrer/innen wohl lieber mit der ganzen Klasse ins Kino als mit dem Kino in die Klasse.
 
Außerdem scheinen manche Initiativen an den Bedürfnissen der Lehrkräfte vorbei zu gehen. Das Angebot der Summer School im Juli 2007, einem dreitägigen Filmseminar für Lehrerinnen und Lehrer im Filmmuseum, zeigte, wie groß das Bedürfnis und auch die Unsicherheit auf Seiten der Lehrer/innen war, sich mit Bewegtbildern zu beschäftigen. Der Wunsch, hier schablonenhafte Vorgaben für den Einsatz im Unterricht zu erhalten, wird genauso oft geäußert, wie der Versuch unternommen, diesen mit Unterrichtsmaterialien zu befrieden. Die Lehrer scheinen überfordert (oder zeitlich überlastet), weil sie methodisch alleine gelassen werden, wünschen sich handliche 1-zu-1-Umsetzungen für den Unterricht, die sie schnell und einfach anwenden können, kriegen diese von manchmal seriösen, manchmal weniger seriösen Quellen geliefert, und sind dennoch oft unzufrieden mit dieser Form der Auseinandersetzung zu einem Thema, das mehr zu bieten hätte. Oft sind Filme unterhaltsame "Zuspieler" für zu besprechende Themen (z.B. Homosexualität anhand von Brokeback Mountain). Oft wird kein Unterschied gemacht, ob ein Spielfilm von der Schulklasse im Kino betrachtet oder im Schulunterricht von einer DVD abgespielt wird. Und oft ist vielen nicht bewusst, was bei einer Filmvorführung (im Kino) überhaupt passiert - sowohl in der Film-Projektion wie auch mit den Menschen im Kinosaal. Diese Differenzierungen, diese Nuancen verlieren sich in der unreflektierten, konvergierenden Erlebniswelt junger Medienkonsumenten.
 
Das Filmmuseum möchte diesen Trends bewusst entgegensteuern. Wir verstehen Filmvermittlung nicht bloß als Einladung zum Kinobesuch oder als Themenlieferung - und auch nicht als simple Aneinanderreihung relevanter Positionen der Filmgeschichte. Im Zentrum steht vielmehr die Vermittlung einer vielschichtigen Erfahrung: Was ist Film - Material, Dokument, Kunstform? Wie ist er einsetzbar? Welche Lesarten brachte und bringt Film hervor? Was sind seine historischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Implikationen und Bezüge?
 
Den Lehrer/innen und Schüler/innen sollen die Augen geöffnet und die Lust vermittelt werden, sich kritisch, aber spielerisch mit den Laufbildern unserer Zeit und jener der Vergangenheit auseinander zu setzen. Vor allem die Lehrer/innen sollen wieder den Mut verspüren, dieses "differenzierte Sehen", diese differenzierte Sozialisierung und Aneignung der Bilder in ihre Schulklassen hineinzutragen. Das Filmmuseum möchte seiner Funktion als "Schule des Sehens" gerecht werden und die Verantwortung annehmen für eine Filmbildung und Filmerziehung, die früh an- und einsetzt.
 
Daher ist es ein Anliegen, nicht nur mit Schulklassen alleine zu arbeiten (wie es bereits in der Reihe "Schule im Kino" gemacht wird), sondern direkt auch mit Lehrer/innen in Kontakt zu treten (wie beim Lehrerfortbildungsseminar "Summer School"). Diese bereits bestehenden Angebote werden nun zu einem umfassenden Gesamtpaket für Lehrer/innen und Klassen aller Schulstufen geschnürt. Dabei handelt es sich weniger um linear aufbauende Module, sondern um Angebote, die ineinander greifen und die die Lehrer/innen und Schüler/innen je nach Interesse und Lehrplan flexibel und immer wieder neu nutzen können. Dabei ist die "strukturierte" Lehrerfortbildung genauso wichtig wie die "unstrukturierte", weil pure, emotionale Erfahrung eines Kinobesuchs.
 
Dominik Tschütscher, Februar 2008