Riso amaro (Bitterer Reis)

Giuseppe De Santis

7. Jänner bis 8. Februar 2012
 
Giuseppe De Santis zu lieben, ist heute mehr denn je ein Bekenntnis, denn er trat für etwas ein: für ein wahrhaft populäres, episches und kommunistisches Kino. Er glaubte an die Bauern und Arbeiter, an deren Vernunft und ­Organisa­tionsvermögen – was in seinem gewaltigen, stolzen und lyrischen Epos über einen Akt zivilen Widerstands, La strada lunga un anno / Cesta duga godinu dana (1958), am schönsten zum Ausdruck kommt. Er glaubte daran, dass Menschen Filme schauen, um etwas über die Welt zu erfahren und die Gesellschaft, in der sie leben, anders verstehen zu können. Denn im Kino sind wir nicht allein mit unseren Fragen; in der Dunkelheit suchen wir kollektiv nach Antworten – deshalb drehte er Roma ore 11 (1952) als eine Art Lehrstück über einen katastrophalen Unglücksfall. Er glaubte daran, dass Filme Ansprüche an uns stellen dürfen. Dass sie sagen dürfen: Das hier ist sinnstiftend, dies nicht; damit vergehst du dich an deinen Nächsten, deinen Nachbarn, deinen Genossen, und damit stützt du die Solidarität derjenigen, die so viel weniger haben und doch so viele sind – davon erzählt sein sizilianischer Rachewestern Non c’è pace tra gli ulivi (1950).
 
Und zugleich glaubte er daran, dass wir ein Recht darauf haben, unsere Leben so zu führen, dass sie schön sind, aufregend, beschwingt und hoffnungsvoll – deshalb machte er klassenbewusste, manchmal heitere und dann wieder bestürzende Melodramen wie Riso amaro (1949) oder Un marito per Anna Zaccheo (1953). Er glaubte an die Tapferkeit und die Geduld, verurteilte faules Zaudern, wohlfeiles Kompromisslertum und Indifferenz – deswegen legte er in Giorni di gloria (1945) gemeinsam mit Mario Serandrei, Luchino Visconti und Marcello Pagliero Zeugnis ab von den Leiden der Bevölkerung in den letzten Kriegstagen und von den Taten der Partisanen. Und tauchte ein halbes Jahrhundert später noch einmal in diese von den Staatsmedien so ganz anders dargestellte Epoche ein: Oggi è un altro giorno. Milano 1945-1995. Giuseppe De Santis war einer vom Schlage Kurosawas, King Hus, Sam Peckinpahs: ein kämpferischer Aufklärer, ein Humanist.
 
Geboren wurde er 1917 in Fondi, in einfach-solide Verhältnisse. 1935 ging er nach Rom, um Philosophie und Literatur zu studieren – seine erste große Liebe unter den Künsten. Aber er lernte mehr in den Zirkeln, die er damals frequentierte, vor allem in den antifaschistischen Kreisen um Mario Alicata, Giaime Pintor, Antonello Trombadori und Pietro Ingrao. In diesen Jahren begriff De Santis, dass er durch den Film viel klarer und unmittelbarer zu den Menschen sprechen konnte, an denen ihm lag: den Bauern und Arbeitern, über deren Leben er schon Kurzgeschichten verfasst hatte. So brach er sein Studium ab, trat ins Centro Sperimentale di Cinematografia ein und schrieb Filmkritiken. Bei Vittorio Mussolinis Zeitschrift Cinema wurde er rasch zu einer Schlüsselfigur. Hier entwickelte er mit Luchino Visconti, Carlo Lizzani, Gianni Puccini, Antonio Pietrangeli und anderen die theore­tischen Grundlagen des Neorealismus. Der Neorealismus, den De Santis meinte, bestand aus Elementen der faschistischen Moderne, des sozialistischen Realismus und des progressiven Hollywoodkinos.
 
Als Mitautor von Filmen wie Ossessione (Visconti), Desiderio (Pagliero & Rossellini) oder Il sole sorge ancora (Aldo Vergano) und als Regisseur von Caccia tragica (1947), Riso amaro, Non c’è pace tra gli ulivi und Roma ore 11 war De Santis einer der weltweit meist beachteten und erfolgreichsten Filmschaffenden im Nachkriegs-­Italien. Wie nur wenige andere stand er für die Größe dieses Kinos, für den historischen Aufbruch und den Atem eines Neubeginns. Das änderte sich gegen Ende der 1950er Jahre: Sein Traumprojekt La strada lunga un anno wurde nicht daheim, sondern in Jugoslawien produziert; sowohl La Garçonnière (1960) als auch Italiani brava gente (1964) stießen zu oft auf gediegene Indifferenz. Bis zu seinem Tod im Jahr 1997 konnte er nur noch einen Kinofilm drehen; unrealisiert blieben Dutzende Drehbücher für Kinofilme, Fernsehspiele, TV-Mehrteiler. Seine Haltung hatte offenbar Pause. 2012 steht diese Haltung aufs Neue zur Diskussion. Die Bedingungen sind andere, umso mehr lässt sich fragen, was das sein könnte: Massenaufklärung, mit dem Ziel eines Neubeginns.
 
Die Schau findet mit Unterstützung des Istituto Italiano di Cultura in Wien und in Kooperation mit Cinecittà Luce statt.
Zusätzliche Materialien