Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto, 1970, Elio Petri

Elio Petri

7. Jänner bis 9. Februar 2012

 

Zu seinen Lebzeiten war Giuseppe De Santis’ Meisterschüler Elio Petri bei der Kritik im Ausland ungleich besser angesehen als daheim: Die italienischen Diskurspäpste der Neuen Linken wussten mit seiner barock-sardonischen Pop-Vision des Brecht’schen Volksstücks überhaupt nichts anzufangen. ­Petri blieb ihnen fremd, so nahe er ihnen – als Geißel der Democrazia Cristiana – politisch auch war. Heute bekennen viele: Wir haben uns geirrt, wir hatten Scheuklappen auf; er war einer der Größten der 60er und 70er Jahre.

 

Wie De Santis entstammte auch Elio Petri einfachen Verhält­nissen: Geboren 1929 in Rom, wuchs er als Sohn eines Kupferschmieds in einem Arbeitervorort auf. Petri wurde früh politisiert, trat in die Kommunistische Partei ein, arbeitete für deren ­Jugend­organisation, schrieb für L'unità und Gioventù nuova, brach jedoch nach dem Volksaufstand in Ungarn mit der PCI – er blieb Kommunist, hielt aber Abstand von deren Organisationen. In jenen Jahren lernte er auch De Santis kennen – und lieferte diesem sogleich ­einen wunderbaren Stoff, die Story für Roma ore 11 (1952). Er arbeitete auch am Drehbuch mit, allerdings uncreditiert. Das änderte sich rasch: Petri wurde zu De Santis’ wichtigstem künstlerischen Vertrauten und Mitautor der Bücher zu Un marito per Anna Zaccheo, Giorni d’amore, Uomini e lupi, La strada lunga un anno und La Garçonnière. Petri arbeitete zwar auch mit anderen Filmemachern, war etwa an Carlo Lizzanis Il gobbo beteiligt, doch der Mann, von dem er alles über das Kino lernte, und, wie er später immer wieder meinte, auch über das Leben, war Giuseppe De Santis.
 
Schon 1954 drehte Petri seinen ersten, kurzen Dokumentarfilm, Nasce un campione, doch es sollte noch sieben Jahre dauern, bis er sein Spielfilmdebüt realisieren konnte: L’assassino (1961) mit Marcello Mastroianni in der Titelrolle deutete bereits an, in welche Richtung er sich entwickeln sollte – grimmige, bohrende Gesellschafts-betrachtungen in Genreform. Nicht, dass er da unbedingt hingewollt hätte: Mit seinem wenig bekannten Meisterwerk I giorni contati (1962) versuchte sich Elio Petri in einem ästhetisch völlig anderen Register – „Existentialistischer Realismus“ wäre ein tauglicher Begriff dafür. Aber ab seinem vierten Film, der fantastischen Pop-Science-Fiction-Allegorie La decima vittima (1965), erneut mit Mastroianni in der Hauptrolle, blieb Petri dem Genrekino treu.
 
Dieser Umstand zeigt sich selbst bei seinen tendenziell realis­tischen Erzählungen wie La classe operaia va in paradiso (1971), die er mit dem Furor und der energischen Inszenierung seiner Polizeifilme und Polit-Thriller ausstattete – Italien, ein Alptraum, der jede noch so paranoid erscheinende Phantasie wie eine Übung in direct cinema wirken ließ. In Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (1970) ermordet ein hochrangiger Polizist seine Geliebte und hinterlässt einen Tatort voller Spuren, die keinen Zweifel an der Identität des Täters zulassen – nur um zu sehen, ob sich seine Kollegen trauen, ihn anzuklagen. In beiden Werken brilliert Gian ­Maria Volontè, Petris zweiter Lieblingsdarsteller neben Mastroianni; zusammen spielten sie für ihn ein einziges Mal – in einem weiteren seiner Hauptwerke: Todo modo (1976).
 
Hier geht es noch verstiegener zu: Todo modo ist eine wenig verschlüsselte Allegorie über die Loge P2 und die Gladio-Verschwörung – und kam heraus, als dieses gesamte Netzwerk aus organisierter Kriminalität und neofaschistischen Elementen in den Streitkräften überhaupt erst öffentlich bekannt wurde ... Petri wusste offenbar, wovon er sprach, und ließ sich über derartige Missverhältnisse auch in kleineren Formen von Interventionskino aus. Spätestens mit Todo modo hatte er sich zu einer Art Staatsfeind entwickelt – man versuchte ihn kaltzustellen und den Film aus den italienischen Kinos zu halten. Vor seinem frühen Tod im Jahr 1982 konnte er mit Buone notizie nur noch einen (auf unheimliche Weise sanften) Kinofilm realisieren – und eine Sartre-Adaption fürs Fernsehen: „Die schmutzigen Hände“, Petris Abrechnung mit dem Stalinismus.
 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung des Istituto Italiano di Cultura in Wien und in Kooperation mit Cinecittà Luce statt.
Zusätzliche Materialien