Persona, 1966, Ingmar Bergman

Ingmar Bergman. Teil 1

1. bis 30. Jänner 2004
 
„Niemand rückt dem Antlitz des Menschen so nahe wie Bergman.“ (François Truffaut)
 
Im Jänner und Februar zeigt das Filmmuseum zum ersten Mal in Österreich das kinematografische Gesamtwerk Ingmar Bergmans. Zwischen seinem Durchbruch im Jahr 1956 – mit der in Cannes ausgezeichneten Komödie Sommarnattens leende (Das Lächeln einer Sommernacht) – und dem großen Spätwerk Fanny och Alexander (Fanny und Alexander, 1982) wurde der schwedische Regisseur und Autor von der internationalen Filmkritik zur „Institution“ erklärt – als wichtigster Vertreter eines avancierten, philosophisch anspruchsvollen Kunstkinos. Durch diese Konzentration auf das „Tiefe“, „Ernste“ und „Dunkle“ bei Bergman wurde aber auch häufig der Blick auf die außerordentliche Vielfalt seines Gesamtwerks verstellt, das von Noir-Poesie bis zu hellen Komödien reicht. Das Œuvre so unterschiedlicher Regisseure wie Lars von Trier, David Lynch oder Woody Allen ist ohne den Einfluss Bergmans nicht denkbar.
 
1918 als Sohn eines Pastors in Uppsala geboren, wächst Bergman in einem strengen, lutheranischen Umfeld auf, das seine künftige Arbeit entscheidend prägt. Er studiert Literaturgeschichte, wendet sich jedoch bald dem Theater zu, das ihn zeitlebens – als zweite Arbeitsstätte und als Thema seiner Filme – begleiten wird. Als Dramaturg und Drehuchautor kommt er Mitte der 40er Jahre zum Film und gibt 1946 mit dem Kammerspiel Kris (Krise) sein Regiedebüt. Bergmans erste, höchst expressive Schaffensperiode widmet sich vor allem existenzialistisch gefärbten Erzählungen vom Kampf der Jugend gegen eine grausame, oft hoffnungslose Erwachsenenwelt. Er erweitert dabei kontinuierlich sein ästhetisches und thematisches Spektrum, beleuchtet die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft – etwa in Gycklarnas afton (Abend der Gaukler, 1953) – oder inszeniert sehr physische, freizügige Liebesgeschichten wie Sommaren med Monika (Die Zeit mit Monika, 1953). Bergman erweist sich dabei als virtuoser Schauspielerregisseur, der zahlreiche internationale Karrieren begründet (etwa jene von Liv Ullmann, Max von Sydow, Ingrid Thulin, Erland Josephson), aber auch als brillanter Bild- und Raumgestalter. Jean-Luc Godard, 1958: „Es ist ein Glück, murmelt Bergman, dass die Kamera existiert, um Schönheit zu erhalten.“
 
1957 etabliert sich Bergman mit einem einzigartigen Doppelschlag als einer der führenden Regisseure des Weltkinos: Det sjunde inseglet (Das siebente Siegel) und Smultronstället (Wilde Erdbeeren) formulieren auf unterschiedliche Weise – als mittelalterliches Mysterienspiel, als introvertiertes Charakterdrama – die Sinnfrage für das moderne Subjekt in einer Welt ohne Glauben. Dieses Motiv wird zu einem zentralen Thema von Bergmans Werk und kulminiert in der pessimistischen „Kammerspiel-trilogie“ Såsom i en spegel (Wie in einem Spiegel, 1961), Nattvardsgästerna (Licht im Winter, 1963) und Tystnaden (Das Schweigen, 1963), deren letzter Teil wegen seiner sexuell expliziten Darstellungen weltweit für Zensurskandale sorgt. Im radikalen Meisterwerk Persona (1966) erscheint die moderne Ästhetik dieser Arbeiten in vollendeter Form: Die metaphysische Krise der beiden Protagonistinnen wird in eine Selbstreflexion des Kinos übersetzt.
 
Trotz bemerkenswerter Entwürfe wie dem Horrorfilm Vargtimmen (Die Stunde des Wolfs, 1968) wird Bergman – wohl auch weil er sich einem direkt „politischen“ Kino verweigert – in der zweiten Hälfte der 60er Jahre wenig beachtet. Ein großes Comeback gelingt ihm mit dem rotschillernden Historienfilm Viskningar och rop (Schreie und Flüstern, 1972), dem weitere mächtige, aus Fernsehserien herausgemeisselte Familiendramen wie Scener ur ett äktenskap (Szenen einer Ehe, 1973) und Fanny och Alexander folgen. In den 80er Jahren zieht sich Bergman offiziell vom Kino zurück, bleibt allerdings als Theater- und Fernsehregisseur unverändert produktiv.
 
Wie einige Porträts der letzten Jahre belegen (z.B. Gunnar Bergdahls The Voice of Bergman, 1997) existiert der Künstler auch heute noch, im Alter von 85 Jahren, als eine Kraft und eine Stimme, die sich kaum historisch abhaken lassen. Die Retrospektive unternimmt den Versuch, das Werk neu zu befragen und mitten im „gefeierten Klassiker“ den lebendigen, unbekannten Ingmar Bergman zu entdecken.
 
Vom 4. bis 19. Februar ist in der Akademie der bildenden Künste eine vom Schwedischen Filminstitut gestaltete Ausstellung über Ingmar Bergman zu sehen.
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