Jean-Luc Godard im Jänner 2016 © Fabrice Aragno

Jean-Luc Godard 3

19. April bis 10. Mai 2017

"Die größte Geschichte ist die Geschichte des Kinos" – Jean Luc-Godard

Den Abschluss der umfassenden Filmmuseum-Retrospektive zu Jean-Luc Godard bilden seine Arbeiten der letzten drei Dekaden: ein grandioses Alterswerk, das elegisch Summe zieht über das eigene Schaffen, die Geschichte des Kinos und jene des 20. Jahrhunderts. Emblematisch dafür steht sein 1998 vollendetes Hauptwerk Histoire(s) du cinéma. Andererseits demonstriert Godard weiterhin die ungebrochene Innovationsfreude und jugendliche Frische eines singulären Künstlers, der sich in völliger Autonomie immer wieder neu erfindet und wie nebenbei die Sprache des Kinos erweitert: Zuletzt etwa in der Spielfilm-Collage Adieu au langage, wo er jenseits kommerzieller Vorgaben mit der Neugier und Verspieltheit eines Kindes die Möglichkeiten des 3D-Kinos ausprobierte – und ungeahnte Pfade entdeckte.

Godards späte Filme werden heute als faszinierende und wohl freieste Phase seines Schaffens gewürdigt. Ihre Rezeption war überschattet vom Umbruch im internationalen Filmverleihwesen, das avancierte Arbeiten kaum noch regulär auswertet und den Festivals überlässt. So wurden Godards vielstimmig komponierte und essayistisch montierte Kino-Gedichte marginalisiert, obwohl er – unter anderem durch die regelmäßige Cannes-Präsenz seiner Filme – als cause célèbre im Zentrum des kritischen Diskurses blieb: Von Bewunderern für seine verblüffenden Experimente als ewiger Revolutionär gefeiert, wurde er im Mainstream als "Ehemaliger" abgetan, der aus seinem olympischen Exil am Genfer See kryptisches, kulturpessimistisches Raunen verbreite.

Das Raunen ist wörtlich zu nehmen. Als wiederkehrendes Element auf Godards atemberaubend komplexen Soundtracks ist es jedoch nur ein kleines Mosaikstück seiner dialektischen Arrangements. Deren zunehmend Requiem-hafter Tonfall wird nicht nur mit Bildern von unerreichter malerischer Schönheit kontrastiert (Filme wie Nouvelle Vague mit Alain Delon fordern den Vergleich mit Alten Meistern heraus), sondern auch mit poetischer Vitalität und schelmischem Witz (berüchtigt: die Wortspiele). So eigensinnig und unentwirrbar Godards immer kühnere Kombinationen von Bild, Ton und Text wirken mögen (meist bereichern und widersprechen sie einander im selben Moment), so konkret ist ihre unmittelbare sinnliche Wirkung: undurchsichtige Wundertüten, überreich gefüllt mit magischen Momenten.

Zeitlose Schönheit paart sich dabei mit Zeitgenossenschaft. Stilisierte sich Godard 1987 in King Lear (als "Schweizer Rasta-Zauberer mit Verbindungskabel-Dreadlocks") und Soigne ta droite (als Dostojewski'scher "Idiot") noch zum närrischen Kino-Einzelkämpfer, der nach erfolgreicher "Godardisierung" der Filmgeschichte – kaum ein Regisseur hat andere so beeinflusst – in absoluter Freiheit alle Konventionen unterminiert, so leitete Nouvelle Vague eine "neue Welle" der Selbstreflexion nach der zeithistorischen Wende ein: Allemagne neuf zéro (1991) schickt den alten Alphaville-Star Eddie Constantine durch die Trümmer der deutschen Geschichte, JLG / JLG – Autoportrait de décembre (1995) analysierte die eigene Gedankenwelt. Éloge de l'amour (2001) schließlich ist ein Abgesang auf die Zeit nach dem "Ende des Kinos", und zwar des analogen – damit auch des fotochemischen Prozesses als Träger von Erinnerung und Geschichte.

Godards jahrzehntelanges Traumprojekt Histoire(s) du cinéma hatte inzwischen eine elektrisierende Bilanz dieser Kinogeschichte in Wechselwirkung mit dem Verlauf des 20. Jahrhunderts gezogen: Der Höhepunkt von Godards angewandter Filmkritik und seiner unermüdlichen Videoexperimente – die auch in der "kleinen" Form immer wieder große Resultate zeitigen – ist als enzyklopädisch-persönliche Reise, polemische Chronik einer Privatmythologie, wehmütige Autobiografie und als modernistisches Mammutwerk allenfalls mit literarischen Leistungen wie Finnegan's Wake von James Joyce oder Musils Der Mann ohne Eigentschaften vergleichbar.

"Ich erwarte das Ende des Kinos voller Optimismus!", hatte Godard schon 1965 verkündet. Weiterhin abseits aller Konventionen und an der Vorderfront technischer Entwicklungen hat er seither in Notre musique (2004) oder der Europa-Elegie Film Socialisme (2010) Ideen der Histoire(s) in eine neue Digital-Kino-Ära fortgedacht. Das selbstgebastelte 3D von Adieu au langage war noch lange kein Adieu: Derzeit arbeitet Godard an einem Film namens Image et Parole: das Bild und die Worte, in einer Zeit, die beides zu vergiften trachtet.

Die Schau findet mit Unterstützung der Schweizerischen Botschaft in Österreich statt.
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