Bilder der Welt und Inschrift des Krieges, 1988, Harun Farocki

Harun Farocki
Retrospektive und Carte blanche: Wie in einem Spiegel

3. bis 27. März 2006
 
Das Werk von Harun Farocki bildet eine der "geheimen Herzkammern" im modernen Kino. Seit 40 Jahren produziert Farocki vor allem dokumentarische Film- und Video-Essays: über das Leben in Deutschland, über Krieg und Revolution, und über die Bilder, die davon in den Medien erscheinen.
 
Das Eigenleben der Bilder und der Medien, ihre Macht und ihre Allgegenwart ist sein Hauptthema – und wie sich diese Bilder in den Alltag, in die Redeweisen und das Handeln der Menschen einschreiben, auch dann, wenn weit und breit kein Fernsehschirm in Sicht ist. Als deutschsprachiges Pendant zu Jean-Luc Godard vertraut Farocki in seinen Arbeiten nicht allein einer "Reflexion der Wirklichkeit", sondern geht auf die Suche nach der "Wirklichkeit dieser Reflexion".
 
Das Filmmuseum zeigt im März die erste umfassende Retrospektive von Farockis Film- und Videoarbeiten in Österreich: 36 Beispiele aus einem Œuvre, das große Essayfilme (Leben – BRD, 1990) und Filmerzählungen (Zwischen zwei Kriegen, 1978) ebenso enthält wie fantasievolle Agitationsfilme (Nicht löschbares Feuer, 1969) und Arbeiten in der Art des Direct Cinema (Die Schöpfer der Einkaufswelten, 2001); Porträtfilme (Georg K. Glaser, 1988) ebenso wie Installationen (Stilleben, 1997) und Überlegungen zur Filmgeschichte (Arbeiter verlassen die Fabrik, 1995).
 
Darüber hinaus bietet die Schau die Gelegenheit, eine Vielzahl seltener Werke des Künstlers zu sehen – zum Teil in neuen Kopien oder "befreit" aus den Archiven der Fernsehanstalten, wo Farocki oft die unauffälligen, kleinen Formate bespielt hat. Einige Beispiele dafür sind "wiederentdeckte" Filme wie Der Geschmack des Lebens, Kinostadt Paris, Erzählen oder Remember Tomorrow is the First Day in the Rest of Your Life. In der künstlerischen und intellektuellen Landkarte, an der Farocki seit 1966 arbeitet, fungieren diese Titel wie unterirdische Passagen.
 
Vorhandene Kanäle zu nutzen, überraschende Vernetzungen einzugehen, elegant zwischen Kino, Fernsehen, Kunst und Wissenschaft zu pendeln (zuletzt auch als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien) – all dies sind Elemente einer praktischen Filmpolitik inmitten des großen Medienverbunds. Wer wie Farocki "mit den Bildern" in Bewegung bleibt, statt sich aufzureiben im Kampf gegen sie, kann nicht nur als autonomer Produzent überleben, sondern auch als autonomer Bilderdenker und -schreiber. Als einer, der Film und Video "schreibt", so wie Walter Benjamin seine Studien, Essays und Notizen geschrieben hat: laufende Bilder als laufender Text zu den aktuellen Bewegungen und Erstarrungen der Gesellschaft.
 
Parallel zur Retrospektive, verwoben mit Farockis eigenem Nachdenken über Kino und Medien, ist die Reihe Carte blanche: Wie in einem Spiegel zu sehen. Auf Einladung des Filmmuseums haben Harun Farocki und Antje Ehmann 14 Filme anderer Künstler ausgewählt, die vom Filmemachen selbst erzählen: Dreharbeiten, Regie- und Darstellerkrisen, Realität und Wahnsinn des Kinos.
 
Es handelt sich dabei nicht so sehr um eine "Dekonstruktion" des Mediums, sondern um seine ekstatische Potenzierung: Im Spiegelkabinett dieser Reihe werden die Mythen und die konkrete Praxis der Filmproduktion miteinander multipliziert und in eine Art "unendlichen Raum" verlängert.
 
Die Carte blanche führt von Klassikern des europäischen Kinos (z.B. Luchino Viscontis Bellissima, Federico Fellinis 8 1/2, Rainer Werner Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte, Pier Paolo Pasolinis La ricotta oder Le Mépris und Passion von Jean-Luc Godard) über Werke der US-amerikanischen auteurs Preston Sturges, Vincente Minnelli und Brian De Palma bis hin zu Beispielen des zeitgenössischen Films – von Abbas Kiarostami, Philippe Garrel oder Abel Ferrara.
 
Die Retrospektive Harun Farocki und die Carte blanche: Wie in einem Spiegel sind Teil eines gemeinsamen Projekts des Filmmuseums und der Generali Foundation, aus deren Sammlung mehrere Leihgaben stammen. Die Generali Foundation zeigt bis 23. April die von Antje Ehmann und Harun Farocki kuratierte Ausstellung Kino wie noch nie.
 
Die Filmschau findet in Zusammenarbeit mit Navigator Film statt. Harun Farocki wird bei vielen Vorstellungen anwesend sein und für Publikumsgespräche zur Verfügung stehen.

Zusätzliche Materialien