Orson Welles

Orson Welles

1. bis 30. September 2005
 
Im Jahr des 20. Todes- und 90. Geburtstags von Orson Welles zeigt das Filmmuseum die bislang umfassendste Retrospek­tive zum Werk des großen Einzelgängers, dessen Einfluss auf die Kinogeschichte im doppelten Wortsinn unschätzbar ist. Neben seinen Meisterwerken – vom bahnbrechenden Studio-Debüt Citizen Kane (1941) über Literaturverfilmungen wie die freie ­Shakespeare-Adaption Chimes at Midnight (1966, Welles’ schöns­tes und persönlichstes Werk) bis hin zu den späten Essays wie F for Fake (1974) – enthält das Programm viele jener lange „unsichtbaren“ oder unvollendeten Kino- und TV-Arbeiten, die vom Filmmuseum München konserviert und digital zugänglich gemacht werden. Hinzu kommen Schauspielerfilme von Welles, bei denen er maßgeblich Einfluss auf die Gestaltung nahm (z.B. The Third Man und Black Magic), sowie Dokumentarfilme über ihn und sein Werk.

Orson Welles’ Bedeutung als Filmemacher gilt als gesichert, dennoch sind seine Persona und sein Werk von Ambivalenz um­geben: ein Labyrinth voller Lücken und Legenden, an dem der begnadete Geschichtenerzähler selbst großen Anteil hatte.

Schon in den 1930er Jahren etablierte sich Welles als „Wunderkind“ und schuf mit seiner New Yorker Theatertruppe, den Mercury Players, revolutionäre Inszenierungen und Hörspiele (darunter die berühmte Radioversion von „War of the Worlds“, die 1938 eine Massenpanik auslöste). Bald darauf erhielt er von Hollywood eine einzigartige Carte blanche: Citizen Kane etablierte nicht nur eine neue Kino-Erzählweise und eine neue Sichtweise auf den amerikanischen Kapitalismus, sondern war auch technisch wegweisend (etwa in der Verwendung von Tiefenschärfe). Die Kontroverse mit dem Zeitungsmagnaten Hearst, der sich in der Figur des Charles Foster Kane wiedererkannte, und der mäßige Kassenerfolg des Films machten Welles’ Status in Hollywood allerdings prekär. Er wurde zum „enfant terrible“ erklärt.

Sein bis heute unerreichtes Familienepos The Magnificent ­Ambersons (1942) wurde vom Studio gekürzt, das Brasilien-Projekt It’s All True gestoppt, sein Vertrag gekündigt. Dies hinderte Welles nicht daran, weitere Filme für Hollywood zu inszenieren – z.B. drei grandiose „Werke der Finsternis“: The Lady from Shanghai, Macbeth und Touch of Evil. Doch Europa erschien ihm ab 1950 als geeigneterer Ort für seine Projekte. Als unabhängiger Künstler ­pendelte er zwischen Italien, England, Spanien, Deutschland und Frankreich und realisierte mit bescheidenen Mitteln und dem Geld, das er als Schauspieler verdiente, eine Reihe von Hauptwerken: Othello, Confidential Report (Mr. Arkadin), The Trial nach Kafkas „Prozess“ und Chimes at Midnight.

Aufgrund seiner kleinteiligen Arbeitsweise blieben viele Welles-Projekte unvollendet; „Nebenwerke“, vor allem fürs Fernsehen, wurden lange übersehen. Aber erst dort, im Kreuz-und-Quer der verschiedenen Formate lässt sich die medienübergreifende Moder­nität seines Werks begreifen: die Hörspielerfahrungen waren entscheidend für Welles’ verblüffende Verwendung von Ton; die Theaterkarriere prägte die Stoffwahl; und die doppelbödige Gestaltung des Spätwerks F for Fake, das auch Welles’ letztes Wort zur Un­greifbarkeit des eigenen Schaffens repräsentiert, ist schon in frühen Arbeiten wie dem Trailer zu Citizen Kane oder dem täuschend einfachen Fernsehstück Portrait of Gina vorgezeichnet. In der selben Manier ziehen sich weitere Fährten durch jene barocke Architektur, die in ihrer Gesamtheit mit den Initialen OW signiert ist.

Zum Auftakt der Schau wird die neue Publikation des Film­museums in Kooperation mit dem Zsolnay-Verlag präsentiert. Orson Welles. Genie im Labyrinth von Bert Rebhandl ist die erste deutschsprachige Welles-Biografie seit vielen Jahren und stellt den Versuch dar, Orson Welles als modernen Künstler par excellence und als eine zentrale Figur des „Medien-Jahrhunderts“ zu zeichnen.

Die Retrospektive wurde in enger Kooperation mit dem Filmmuseum München realisiert, dessen Direktor Stefan Drößler von 15. bis 17.9. seine Welles-Funde und Restaurierungen der letzten Jahre in Wien vorstellen wird. Unser Dank gilt Stefan Drößler sowie dem US ­Embassy in Wien und dem Fachverband der Film- und Audiovisionsindustrie, die das Projekt großzügig unterstützt haben.

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