Persona, 1966, Ingmar Bergman

Ingmar Bergman

5. Jänner bis 8. Februar 2018

"Jeder Filmemacher, der sich mit der Beschaffenheit menschlicher Beziehungen beschäftigt, betritt das Reich Bergmans."
(Olivier Assayas, 2005)
 
Das Filmmuseum startet mit einem Jubiläum ins neue Jahr: Zum 100. Geburtstag des großen schwedischen Regisseurs und Autors Ingmar Bergman (1918–2007) werden heuer weltweit Festspiele abgehalten, den Auftakt bildet die Retrospektive seines Kino-Gesamtwerks in Wien. Zwischen dem internationalen Durchbruch 1956/57 mit preisgekrönten Klassikern wie Sommarnattens leende (Das Lächeln einer Sommernacht), Det sjunde inseglet (Das siebente Siegel) oder Smultronstället (Wilde Erdbeeren) und seinem offiziellen Abschied vom Kino 1982 mit der Großtat Fanny och Alexander (Fanny und Alexander) wurde Bergman zur unumstrittenen Institution und zum repräsentativen Antlitz Schwedens auf der Kino-Weltkarte. Kein anderer Regisseur gilt so sehr als Inbegriff eines avancierten, philosophisch anspruchsvollen Autorenkinos – ein Status, der sich 1997 bestätigte, als die "Palme der Palmen" zum 50. Cannes-Jubiläum an Bergman ging.
 
Das Renommee als "populäres Genie" produzierte freilich auch ein Klischee: Als Erforscher existenzieller und metaphysischer Krisen wurde Bergman in eine skandinavische Tradition mit Autoren wie August Strindberg (den er zutiefst bewunderte) gereiht. So wie Alfred Hitchcock für seine Thriller als master of suspense kategorisiert wurde, obwohl er sich auch in anderen Registern versuchte, stilisierte man Bergman zum Meister des tiefgründigen Beziehungsdramas, auch wenn er von der leichten Komödie bis zum metaphorischen Historienstück in vielen Genres reüssierte. Dem Klischee steht ein Gesamtwerk entgegen, das in seiner Vielfalt und Offenheit stets aufs Neue verblüfft. Eine Ahnung davon gibt Bergmans anhaltender Einfluss auf so unterschiedliche Regisseure wie David Lynch, Lars von Trier, Olivier Assayas, Michael Haneke oder Woody Allen. Die erste Gesamtschau seit der Filmmuseum-Retrospektive 2004 ist eine Einladung zur (Wieder-)Entdeckungsreise durch einen der reichsten Kontinente der Kino-Historie.
 
Als Pastorensohn wuchs Bergman in einem strengen, lutheranischen Umfeld auf, was einerseits seine Interessen prägte, andererseits schon früh seine Imaginationskraft beflügelte: "Wenn die Realität nicht mehr genügte, begann ich zu fantasieren und meine Spielkameraden mit Geschichten über meine geheimen Abenteuer zu unterhalten." Schon als Teenager tauchte Bergman tief in die Literaturgeschichte ein und begann ein entsprechendes Studium, bevor er sich dem Theater zuwandte, das zeitlebens zweite Wirkungsstätte und Filmthema (etwa in seiner Zauberflöte-Version Trollflöjten von 1975) bleiben würde. Es war auch Grundlage für die virtuose Arbeit mit Schauspielern: Ab den 1950ern bespielte Bergman in der Wintersaison mit seinem Ensemble Stockholms Bühnen, um die Sommerpausen für Filmdrehs zu nutzen, was vielen Stammakteuren – wie Liv Ullmann, Max von Sydow oder Ingrid Thulin – zu internationalen Karrieren verhalf.
 
Zum Film gekommen war Bergman Mitte der 1940er als Drehbuchautor, und rasch wurde er auch als Inszenator zur führenden Kinofigur seines Landes. Die erste Schaffensperiode kombinierte neorealistische Einflüsse mit jugendlichem Aufbegehren: Im Zentrum stand oft das Ringen junger (Arbeiterklasse-)Paare mit der versteinerten, bürgerlichen Erwachsenenwelt. Die enorm physische Liebesgeschichte Sommaren med Monika (Die Zeit mit Monika, 1953) wurde 1958 von Jean-Luc Godard als "originellster Film des originellsten aller Filmemacher" begrüßt: Er ist "für das heutige Kino, was Birth of a Nation für das klassische Kino war". Godard würde im eigenen Regiedebüt auch die verblüffende lange Einstellung zitieren, in der Hauptdarstellerin Harriet Andersson direkt in die Kamera blickt: ein Musterbeispiel für Bergmans modernistische Impulse, die eine kontinuierliche Erweiterung seines ästhetischen und thematischen Spektrums brachten. Ob in der Komödien-Serie, die in Das Lächeln einer Sommernacht kulminierte – oder in dunklen Seelendramen wie dem mittelalterlichen Mysterienspiel Das siebente Siegel und der modernen Entfremdungsgeschichte Tystnaden (Das Schweigen, 1963), deren sexuell explizite Darstellungen Zensurskandale provozierten.
 
Der unverwechselbare künstlerische Ausdruck machte Bergman nicht nur zum Rollenmodell der Nouvelle Vague: Vom persönlichen Detail (François Truffaut: "Niemand rückt dem Antlitz des Menschen so nahe wie Bergman") zur kosmischen Breite (gespiegelt in den unwirtlichen Landschaften seiner Wahlheimat, der Insel Fårö, ab den 1960ern bevorzugter Schauplatz) entwarf Bergman eine Filmwelt, deren manchmal brutale Intensität seinen Ruf als kanonisiert-"angestaubter" Klassiker Lügen straft – nicht nur in zwar "klassisch" gewordenen, doch ungebrochen radikalen Entwürfen wie der experimentellen (Kino-)Selbstreflexion Persona (1966) oder dem Quasi-Horrorfilm Vargtimmen (Die Stunde des Wolfs, 1968). Bis zu gefeierten Spätwerken für Film und Fernsehen wie Scener ur ett äktenskap (Szenen einer Ehe, 1974) oder Fanny und Alexander vibriert Bergmans Schaffen vor Vitalität – gespeist aus der kompromisslosen Auseinandersetzung mit den Dingen des Lebens.
 
Das Filmmuseum dankt dem Swedish Film Institute. Gezeigt werden sämtliche Kinoarbeiten Ingmar Bergmans im analogen Originalformat (mit Ausnahme von Sän't händer inte här / Menschenjagd, 1950, der seit langem für die öffentliche Aufführung gesperrt ist) sowie ausgewählte Fernseh-, Dokumentar-, Kurz und Werbefilme.
Zusätzliche Materialien