Gun Crazy, 1950, Joseph H. Lewis

You Can't Win
Film noir Teil 2: 1948-2001

1. bis 30. April 2005

Der zweite Teil der Retrospektive You Can’t Win konzentriert sich auf die Hochblüte des Film noir um 1950 sowie auf die vielfältigen Erweiterungen und Verzweigungen, die das „Konzept Noir“ bis zum Kino der Gegenwart erlebt hat.
 
Die letzte Welle der Schwarzen Serie im Hollywood der 50er Jahre ist stilistisch „barock“, voller psychotischer Charaktere und stark politisiert. Dies zeigt sich nicht nur an den Klassikern von Orson Welles (Touch of Evil), Fritz Lang (The Big Heat), Robert Aldrich (Kiss Me Deadly), Billy Wilder (Sunset Boulevard) und Alexander Mackendrick (Sweet Smell of Success), sondern auch an den herausragenden – und erst spät wiederentdeckten – Billigproduktionen von Joseph H. Lewis (The Big Combo) und Cy Endfield (The Sound of Fury). Endfield stand in enger Verbindung mit anderen politisch verfolgten Regisseuren wie Jules Dassin, Robert Rossen, John Berry und Abraham Polonsky – allesamt Opfer der McCarthy-Blacklist, die den Film noir massiv geprägt haben.
 
In dieselbe Ära fällt die Blütezeit des europäischen Noir: zunächst The Third Man und Yves Allégrets zu Unrecht vernachlässigtes Meisterwerk Une si jolie petite plage, in den 50er Jahren dann die unversöhnlichen Filme der deutschsprachigen Re-Emigranten Peter Lorre und John Brahm. Beide Werke – Der Verlorene und Die goldene Pest – wurden damals rundweg abgelehnt, ebenso wie Helmut Käutners verwandtes Projekt Schwarzer Kies aus dem Jahr 1961. Sie waren zu schwarz für die deutsche (und österreichische) Wiederaufbaustimmung.
 
Spätere Kriege bilden Angelpunkte für den amerikanischen Post-Noir: das Vietnam-Trauma (Taxi Driver und Night Moves) und davor schon der Korea- bzw. Kalte Krieg in John Frankenheimers Thriller The Manchurian Candidate. Gleichzeitig erzählen diese Filme von der neuerlichen Befruchtung zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Kino, eingeleitet von der Nouvelle Vague mit ihrem Faible für finstere B-Pictures: ein transatlantisches Wechselspiel, dessen Spuren von Truffauts Tirez sur le pianiste (1960) über Jim McBrides stark unterschätztes Godard-Remake Breathless (1983) bis zum Kino von David Lynch reichen. Auf der Strecke dazwischen: die hypermoderne Genre-Zerlegung Point Blank; aus US-Mythen gespeister Existenzialismus in Europa (Melville, Fassbinder, Wenders – und Alain Corneaus bestechende Jim-Thompson-Verfilmung Série noire); sowie die Verlagerung der Noir-Erfahrung auf das Terrain der Science Fiction, z.B. bei Chris Marker und Ridley Scott. Das moderne Kino, so Jonathan Rosenbaum, besteht aus vielen „adventurous narratives on the margins of noir“.
 
Die Blade Runner-Ästhetik ist zur einflussreichsten Quelle für die mittlerweile inflationäre Klassifizierung „Neo-Noir“ geworden. Die Schau des Filmmuseums hält dieser Mode der letzten 25 Jahre einige substanziellere Entwürfe entgegen: feministische Neulektüren (von Sally Potter und Bette Gordon); ein rares Beispiel für „Black Noir“ (Carl Franklins Devil in a Blue Dress mit Denzel Washington untersucht kurz nach dem Fall Rodney King die ethnischen Spannungen im Los Angeles von 1948); und ein böser Blick auf die neoliberale EU-Gegenwart: Laurent Cantets L’Emploi du temps (2001) schließt den Kreis, der seinen Anfang im 19. Jahrhundert, beim Naturalismus von Zola genommen hat: Noir ist auch die Angst des Bürgers vor dem Auffliegen seiner Trugbilder.
 
Mit fünf Lectures (jeweils Freitag, 18 Uhr) und einer Einführung wird das Thema der Schau aus ungewöhnlichen Perspektiven beleuchtet. Die Vorträge von Thom Andersen (Los Angeles), Elisabeth Bronfen (Zürich), Monika Faber (Wien), Lutz Koepnick (St. Louis) und Hans Scheugl (Wien) wurden gemeinsam von SYNEMA und Filmmuseum organisiert.
 
Die Retrospektive findet mit großzügiger Unterstützung der ERSTE BANK statt. Dank an das Österreichische Filminstitut sowie an James Naremore, Michael Omasta und Christoph Huber für ihre Inspiration und Hilfe bei der Auswahl.

Zusätzliche Materialien