Ugetsu monogatari

Mizoguchi Kenji

7. Februar bis 5. März 2014
 
„Eine außergewöhnliche Natur, gejagt von seinem eigenen Bild. Er war ein Getriebener. Mit dem Tod Mizoguchis verliert Japans Film seinen wahrsten Schöpfer.“
(Kurosawa Akira)
 
Mizoguchi Kenji gilt seit seinem ersten internationalen Auftauchen in den frühen 1950ern als eine Schlüsselgestalt des Weltkinos, woran sich in den sechs Dekaden seither wenig geändert hat. Wenn überhaupt, dann wirkt seine Position heute gesicherter denn je. Aus der exotistischen Anfangseuphorie hat sich mittlerweile ein weitreichender, differenzierter Diskurs entwickelt, der seinem Schaffen ständig neue Seiten abgewinnt – vergleichbar etwa jenem von Jean Renoir, John Ford, Roberto Rossellini oder Fritz Lang.

 
Die Nennung dieser Namen im Zusammenhang mit Mizoguchi ist kein beliebiges name dropping weiterer Bewohner des „Pantheons“. Sie alle haben Œuvres geschaffen, die sich gut (re-)arrangieren und aufteilen lassen, die thematisch oder politisch immer neu und anders lesbar sind. So wie jenes von Mizoguchi: ein vielteiliges Set herrlicher Kristalle, die im wechselvollen Licht der Zeiten stets neue Farben und innere Strukturen zu erkennen geben. Auch wenn die meisten Mizoguchi'aner das Gesamtwerk des Meisters verehren, gibt es dennoch verschiedene Gruppen, die jeweils andere Aspekte an seinem Schaffen betonen.

 
Es gibt die „Formalisten“, die in der visuellen Eleganz, im intensiven Strömen, Gleiten und Kreisen der Plansequenzen die Apotheose seines Genies sehen, also etwa in der Erzählung von den späten Chrysanthemen (1939) oder Das Leben der Frau Oharu (1952). Und es gibt die „Progressiven“, die sich eher für den Feministen von Osaka-Elegie und Die Schwestern von Gion (beide 1936) stark machen; bestätigt wird diese Sicht auch in Nachkriegsfilmen wie
Die Liebe der Schauspielerin Sumako (1947) und Frauen der Nacht (1948) – und in seinem letzten Werk, Die Straße der Schande (1956). Es gibt auch die „Humanisten“, die primär den Mizoguchi der 50er Jahre kultivieren, den Regisseur von Ugetsu monogatari (1953) oder Sanshō dayū (1954) – und es gibt die Verfechter einer Kinoschönheit, die mehr zum Zerbrechlichen bzw. Zerbrochenen tendieren, also vor allem Mizoguchis frühe Tonfilmwerke schätzen.
 
Auch seine Zusammenarbeit mit Tanaka Kinuyo
ließe sich als eigene (Lebens-)Werkperiode betrachten, vielleicht sogar als seine fruchtbarste, denn sie kulminierte in weniger geläufigen Meisterstücken wie Miss Oyū und Die Dame von Musashino (beide 1951). Betrachtet man diese Gruppierungen, Felder, Sichtweisen getrennt voneinander und vergleicht sie sodann, fällt auf, welch extrem verschiedene Filmschaffende sich da in dieser einen Person tummeln. Auch wenn sie sich in selten Fällen – z.B. in Utamaro und seine fünf Frauen (1946) – vereinen: Man versteht manchmal kaum, wie die völlig antagonistischen Charaktere des Herrn Mizoguchi alle Platz finden konnten in ein und demselben künstlerischen Werk.
 
Geschichten über ihn gibt es zuhauf:
wie der 1898 geborene Junge (ob der fehlgeleiteten Kriegsgewinnler-Versuche des Vaters) in Armut aufwuchs und zusehen musste, wie die ältere Schwester anschaffen ging; wie er sich selbst zu bilden versuchte; wie er, 26-jährig, von seiner Lebensgefährtin, einer Geisha, mit dem Messer attackiert und schwer verletzt wurde (in den Bordellen war er selbst als Gewalttäter berüchtigt). Gleich mit seinem Debüt, 1923, provozierte er den Zorn der Zensur. 1941 sah er mit an, wie seine Gattin einer Geisteskrankheit erlag, während er sich auf Dreharbeiten befand. Von Ozu wurde er immer wieder (wohl aus Eifersucht) als Parvenu und Banause vorgeführt. Und während des Festivals von Venedig saß er in seinem Hotelzimmer und betete für das Heil der Nation, statt mit Tanaka die Stadt zu besichtigen.

Mizoguchi verstand es, sich den jeweiligen politischen Systemen anzupassen: In den 30er Jahren drehte er zunächst Kommunismus-affine, später nationalistisch-militaristische, nach 1945 „demokratische“ Filme. Doch das Ausmaß seines Oppositions- bzw. Kollaborationsgeistes wird sich nie angemessen beurteilen lassen – zu viele der laut zeitgenössischen Kritikern besonders exponierten Arbeiten gelten als verschollen. Man muss all die erwähnten Anekdoten zu Mizoguchi wahrscheinlich nicht kennen, aber sie machen die Faszination seines Schaffens und viele der Ambivalenzen darin einfacher erklärbar. Shindō Kaneto, der in ihm ein Vorbild sah, glaubte stets, dass Mizoguchi in den Filmen seine verschachtelten Schuldkomplexe gegenüber den Frauen seines Lebens abarbeitete. Politische Systeme kommen und gehen, wie die Moden, aber die Begehrens- und Hingebungsverhältnisse zwischen Männern und Frauen bleiben.
 
Es wäre interessant gewesen, zu sehen, wie Mizoguchi mit den gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Entwicklungen der 60er und 70er Jahre zurecht gekommen wäre, doch er verstarb weit vor seiner Zeit, 1956, keine sechzig Jahre alt. Seinem letzten Werknach zu urteilen: auf dem Weg in eine neue schöpferische Hochphase.

 
Ein gemeinsames Projekt des Filmmuseums, der Japan Foundation (Tōkyō), der Japanischen Botschaft (Wien) und des National Film Center (Tōkyō).

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