Irezumi, 1966, Masumura Yasuzo

Masumura Yasuzô

6. bis 21. Februar 2008
 
Masumura Yasuzô (1924–1986) ist ein offenes Geheimnis des japanischen Kinos – ein brillanter und einflussreicher Regisseur, dessen bescheidene Haltung gegenüber seinem Metier u.a. dazu führte, dass er im Westen kaum wahrgenommen wurde. Ähnlich wie viele Meister des klassischen Hollywoodkinos sah sich Masumura nicht als "großer Künstler", sondern als Erzähler für ein breites Publikum, als Studio-Hand werker, als Kommentator seiner Zeit: Im Mittelpunkt seiner Ethik steht der Angriff auf die Normen und den Konformismus der japanischen Gesellschaft. Zu diesem Zweck bot er häufig gewalttätige Konstellationen auf, Figuren, die am Rande des Wahnsinns taumeln, sowie erotische, obsessiv aufgeladene Sujets.
 
Masumuras Hauptwerk entstand in wenig mehr als einem Jahrzehnt, zwischen 1957 und 1969 (mit zwei Nachzüglern). Nun würdigt das Filmmuseum den Regisseur erstmals im deutschen Sprachraum mit einer größeren Retrospektive. Gezeigt werden 18 zentrale Werke aus einem dreimal so großen Œuvre.
 
Schon mit seinen ersten Filmen - Kuchizuke, Aozora musume und Danryû - schlug Masumura 1957 eine Bresche, durch die bald Japans Nouvelle Vague springen würde. Ôshima Nagisa, deren prominentester Vertreter, bezog sich in seinen Essays dezidiert auf Masumuras Vorbild. Anders als Ôshima & Co. verweigerte sich der Anarchist Masumura jedoch der Ego-Ökonomie des Kunstbetriebs: Bei aller Lust an der öffentlichen Polemik blieb er stets ein Mann des Studiosystems - und inszenierte zwischen den persönlichen Projekten scheinbar nebensächliche Arbeiten, um die Firma am Laufen zu halten. Aber das eine schloss das andere nicht aus: Zwei seiner besten Filme, Kuro no Test Car und Heitai yakuza waren so erfolgreich, dass das Daiei-Studio daraus ganze Serien machte.
 
Nach weiteren frühen Meisterstücken wie dem überdrehten, am Stil der Comics geschulten Kyojin to gangu oder dem Yakuza-Film Karakkaze yarô mit Kultautor Mishima in der Hauptrolle folgten ab Mitte der 60er Jahre die Geniestreiche Schlag auf Schlag. Der Ikono klast und Tabubrecher Masumura tobte sich aus – über das Übel des Kapitalismus im allgemeinen und den japanischen Militarismus im Besonderen (z.B. in Heitai yakuza und Akai tenshi). Seine vitalen Frauenfiguren, die ebenso leicht schänden und töten wie sie heilen und lieben, entwickelten sich zu Modellen einer neuen Weiblichkeit; ihre Wurzeln reichen bis in die Anfänge der japanischen Zivilisation zurück – zum Eros der ersten Schamaninnen. Masumuras skandalträchtige Adaptionen der Romane von Tanizaki Jun’ichirô bilden vielleicht den Höhepunkt dieser Phase: In Manji, Irezumi und Chijin no ai regieren lesbische Leidenschaften, Femmes fatales und Masochismus.
 
Masumura war schon als Kind dem Film verfallen: Der Vater eines Freundes betrieb ein Kino, wo sich die Jungen alles ansahen (mit einer Vorliebe für die sozialkritischen Schwertfechterfilme von Itô Daisuke und Inagaki Hiroshi). In Tôkyô besuchte er die Universität, wo er 1947 sein Jura-Studium beendete. Parallel zu seinen Anfängen als Regieassistent bei Daiei studierte er Philosophie und danach, als erster Japaner, Filmregie am Centro Sperimentale in Rom (1952-54). In Rom veröffentlichte er auch eine kurze Geschichte des japanischen Kinos, die erste Abhandlung zum Thema in einer westlichen Sprache – und zugleich eine Art Absichtserklärung: Masumura wütet hier u.a. gegen die Dulderfrauen à la Mizoguchi und gegen das "Delikate" des japanischen Realismus. Sein eigenes Kino würde ganz anders werden: frei fließend in den Bewegungen, poppig (also entweder knallbunt oder extrem kontrastbewusst in Schwarzweiß) und vor allem rasend, mit einem Hang zum Grotesken und zum Spektakel von Sex und Tod – in den unwirtlichsten und unwirklichsten Umständen.
 
Der US-Kritiker Jonathan Rosenbaum, der mehr für die Wiederentdeckung des Regisseurs getan hat als jeder andere, fühlt sich bei Masumura an dessen US-Zeitgenossen Nicholas Ray, Sam Fuller, Frank Tashlin und Douglas Sirk erinnert – im besten Fall an alle zusammen, in ein und demselben Film.
 
Wir danken der Japan Foundation und Kadokawa Pictures für die Zusammenarbeit.