Deserto rosso (Die rote Wüste), 1964, Michelangelo Antonioni

Michelangelo Antonioni

7. bis 27. Jänner 2003
 
„Ich vermute, daß Antonionis Filme weiter wachsen und sich verändern werden so wie Dünen in den Jahrhunderten der Wüste. Im Zuge dieses Vorgangs wird er – solange es Augen gibt, die schauen können – zum Maßstab für Schönheit werden.“
(David Thomson)
 
Im Jänner 2003 präsentiert das Filmmuseum in Zusammenarbeit mit Cinecittà Holding und dem Italienischen Kulturinstitut das Gesamtwerk eines der bedeutendsten lebenden Filmregisseure. Wien bildet den Auftakt einer umfangreichen Europa-Tour dieses Projekts, bei dem mehrere Werke erstmals in restaurierten Fassungen zur Vorführung kommen.

 

Michelangelo Antonioni, vor 90 Jahren in Ferrara geboren, ist der letzte große „Architekt“ der Kino-Moderne. Sein Name markiert eine zentrale ästhetische Position des 20. Jahrhunderts, einen Einschnitt und einen Neubeginn in der Geschichte des filmischen Erzählens.

 
Antonionis faszinierende Kurzfilme der 40er Jahre (z.B. Gente del Po oder Nettezza urbana) sind stark vom Geist des Neorealismus geprägt. Doch bald wird deutlich, Antonioni als Vollender und zugleich Überwinder dieses Stils, dieser filmischen Haltung angetreten ist. Schon sein erster Langfilm, Cronaca di un amore, konzentriert sich mit feinen, kühlen Zwischentönen auf die Gefühlslagen und Rituale der Bourgeoisie statt auf Armut und die Arbeiterklasse.

 

Im Laufe seiner Entwicklung entfernt sich der Regisseur rapide von den melodramatisch-pseudorealistischen Formen des klassischen Kinos. Die Entfremdung seiner Figuren voneinander und von der Realität äußert sich zunächst – etwa in Le amiche (1955) oder Il grido (1957) – über subtilste Blicke, Beobachtungen und Kamerabewegungen. Die dramatische Erzählung tritt nun immer stärker in den Hintergrund, zugunsten einer neuen Auffassung von Filmzeit und Bildraum.
 

Antonionis sechster Film L’avventura wird 1960 in Cannes vom Publikum skandalisiert, von der Kritik aber spontan als Meisterstück gefeiert. Mit diesem und den folgenden Werken La notte, L’eclisse und Deserto rosso avanciert er binnen kürzester Zeit zum meistdiskutierten Künstler des internationalen Films. Dieser Status verdankt sich nicht nur seinem radikalen Stil, sondern auch dem neuen Zeitgeist der 1960er Jahre. Die kühlen, fotografisch und szenisch ausgefeilten Ansichten von Monica Vitti, Jeanne Moreau, Marcello Mastroianni und Alain Delon definieren ein konkretes Lebensgefühl: einsame Figuren auf ihrem Weg durch die geheimnisvolle, labyrinthische Leere der Städte und Vorstädte.

 

„Antonioni ist der Analytiker der spätbürgerlichen Melancholie, er enthüllt den individuellen Überdruß als Äquivalent der sozialen Armut. Wobei er, das war ja lange das Mißverständnis innerhalb der Linken, diesen Zustand nirgendwo anprangert. Er konstatiert nur – und zeigt darüber die Faszination der Verzweifelten.“ (Norbert Grob)

 

Die internationale Karriere des Regisseurs in den späten 60er und 70er Jahren – z.B. Blow-Up und Zabriskie Point – führt ihn noch unmittelbarer an die junge Gegenwartskultur heran; zugleich wirde die philosophische Dimension seiner Arbeit unabweisbar. In dieser Zeit ensteht auch sein epischer Dokumentarfilm über China (Chung Kuo Cina) sowie sein größtes, bezwingendstes Werk Professione: reporter (1975) mit Jack Nicholson und Maria Schneider – ein existentialistisches Road movie über taumelnde Identität und den prekären Status der Wirklichkeit bzw. ihrer Abbilder.

 

In den letzten Jahrzehnten hat Michelangelo Antonioni auch als Zeichner („Le montagne incantate“) und als Schriftsteller („Bowling am Tiber“) bemerkenswerte Werke vorgelegt. Seit einem Schlaganfall Mitte der 80er Jahre, der seine Sprechfähigkeit massiv einschränkte, widmet er sich nur mehr sehr sporadisch der Filmarbeit.

 

Die Retrospektive besteht aus neuen Kopien mit englischen Untertiteln, zur Verfügung gestellt von Cinecittà Holding (Rom).

 

Das Projekt findet mit Unterstützung des Italienischen Kulturinstituts (Wien) und des italienischen Kulturministeriums (Ministero per i Beni e le Attività Culturali) statt.