Douglas Sirk, 1957 in Locarno

Die heillose Familie (2): Douglas Sirk

7. bis 30. April 2006
 
„Douglas Sirks Filme befreien den Kopf.“
(R.W. Fassbinder)

Im Zusammenspiel mit den Filmen von Claude Chabrol zeigt das Filmmuseum zwölf Werke eines deutschen Emigranten und Künstlers in Hollywood, dessen Karriere exakt zu jener Zeit endete, als der Siegeszug der Nouvelle-Vague-Regisseure begann. Diese jüngere Generation von europäischen Cinephilen (darunter Jean-Luc Godard und vor allem Rainer Werner Fassbinder) erkannte auch als erste den Rang und die besondere Qualität der Filme von Douglas Sirk.
 
Ausgehend von vier mittlerweile kanonisierten Meisterwerken der späten 50er Jahre – All That Heaven Allows, Written On the Wind, The Tarnished Angels und Imitation of Life – wurde Sirk nicht nur als überragender Stilist gefeiert, sondern auch als Hauptvertreter eines subversiven Geistes im US-Entertainment. Seine prachtvollen Technicolor-Melodramen und „Familienfilme“ erweisen sich bei näherer Betrachtung nämlich als bitter-ironische, oft beißende Kritik am amerikanischen Traum.
 
Die bewusst artifizielle Anlage – bigger than life in jeder Hinsicht – und ebenso kunstvolle Reflexionsarbeit (Blindheit und Spiegel sind nur zwei der bezeichnenden Schlüsselmotive, mit denen Sirk seine formvollendeten Oberflächen zu „brechen“ wusste) offenbarten die Handschrift eines feinsinnigen Künstlers, der die Spielregeln des Studiosystems zu akzeptieren gelernt hatte und sie doch zu transzendieren wusste.
 
Douglas Sirk (1897-1987), geboren in Hamburg als Hans Detlef Sierck, aufgewachsen in Dänemark, befreundet mit Max Brod und mit Kafka bekannt, war erfolgreicher deutscher Theaterregisseur – mit besonderem Interesse für Shakespeare und das moderne Theater von Brecht und Weill.
 
Nach einigen Filmerfolgen (z.B. La Habanera) emigrierte er 1937 mit seiner jüdischen Frau auf Umwegen in die USA. Er lebte dort als Farmer, studierte die amerikanischen Lebensweisen und verdingte sich ab 1943 in Hollywood, vorerst mit beschränkten Mitteln und nur wenigen persönlich gefärbten Projekten. Erst sein Engagement beim Universal-Studio, ab 1950, ließ Sirk „zu sich“ kommen.
 
Der genaue Blick des Fremden auf die amerikanische Populärkultur, der Einfluss Brechts und die Entscheidung für sogenannte Frauenstoffe ergaben jene Konstellation, in der aus „Herzschmerz“-Geschichten die Wucht antiker Tragödien erwuchs: All I Desire. There's Always Tomorrow. Magnificent Obsession. Die Titel sprechen eine deutliche Sprache, auch dann, wenn die Filme in anderen Räumen und Zeiten spielen wie z.B. die Remarque-Adaption A Time to Love and a Time to Die.
 
Die Filmauswahl präsentiert Sirks berühmte Melodramen sowie eine wenig bekannte Trilogie von klugen, mit viel Sympathie und Witz erzählten Kleinstadt-Americana – Has Anybody Seen My Gal? (1952, mit dem jungen James Dean in einer kleinen Rolle), Meet Me at the Fair (1953) und Take Me to Town (1953). Dazu: Sirks Lieblingsfilm, die historische Gaunerkomödie A Scandal in Paris (1946) mit George Sanders als Verbrecher und Polizeipräsident – ein zutiefst europäisches, durchwegs von Exilanten gestaltetes Werk.
 
Ab 1953, parallel zum konservativen Backlash der Eisenhower-Ära, verstärkt sich Sirks Interesse für das, was unter der sauberen Oberfläche der Wirtschaftswunder-Gesellschaft brodelt: die Repression und Heuchelei in den Familien, das Begehren und die Einsamkeit der Frauen, das Scheitern der Männer an den vorgegebenen Männlichkeitsidealen.
 
Damit kommt auch das klassische Hollywoodkino an sein Ende: Insbesondere Written On the Wind, die vor sexueller Hysterie aus allen Nähten platzende und in eine Explosion der Farben mündende Geschichte über den Untergang einer Öldynastie, ist ein Zeichen dafür, dass sich mit der Gesellschaftsordnung auch die zugehörige Unterhaltungsform ändern muss.
 
Ausgerechnet nach seinem größten Erfolg Imitation of Life (der Titel bringt das Spätwerk auf den Punkt) beendet Sirk seine Laufbahn. Aus Krankheitsgründen, aber auch weil ihm klar geworden war, dass seine Form des Kinos nun zu Ende gehen würde – um anderswo von einer jungen Generation wiedergefunden oder, in anderem Stil, neu erfunden zu werden.

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