Moolaadé (Bann der Hoffnung), 2004, Ousmane Sembène

Ousmane Sembène
Das Gesamtwerk

1. bis 11. November 2004
 
Cannes, im Mai 2004: Der neueste Film eines 82jährigen Regisseurs aus dem Senegal wird von vielen internationalen Beobachtern zum „heimlichen Sieger“ des Festivals erkoren – obwohl er außer Konkurrenz läuft. Der Film: Moolaadé. Der Regisseur: Ousmane Sembène.
 
Sembène gilt als Pionier und eigentlicher Begründer des Kinos südlich der Sahara. In den späten 60er und 70er Jahren etablierte er sich auch beim europäischen und amerikanischen Publikum als bedeutendster afrikanischer auteur neben Djibril Diop Mambéty. Gleichzeitig bleibt er von entscheidendem Einfluss für die jüngeren Filmemacher-Generationen des Kontinents.
 
Geboren 1923 in Ziguinchor, Senegal, wird Sembène von seinem Onkel, einem islamischen Lehrer erzogen, seine offizielle Schulausbildung in Dakar endet nach einem Faustkampf mit dem Direktor. In den 30er Jahren arbeitet er als Maurer, beginnt sich aber bald für das Theater und für die griots, die Vertreter der traditionellen Erzählkunst zu interessieren. Deren Formen der mündlichen Überlieferung sind eine der zentralen Inspirationsquellen für seine Ästhetik.
 
1942 schließt sich Sembène den französischen Kolonialtruppen an; er kämpft in Afrika und Europa bei der Artillerie und nimmt 1947/48 am großen Streik der Bahnarbeiter entlang der Strecke Dakar-Niger teil, einem Schlüsselereignis für die afrikanische Politik der Selbstbestimmung. Danach geht er als Dockarbeiter nach Marseilles, wird Gewerkschafter und tritt der kommunistischen Partei bei. In der folgenden Dekade bereist er mehrfach Europa und etabliert sich mit autobiografisch gefärbten Romanen wie Le Docker noir (1956) und Les Bouts de bois de dieu (1960, über den Eisenbahnstreik) als einer der führenden Schriftsteller Afrikas.

 
Weil die Wirkung der afrikanischen Literatur begrenzt ist (man schreibt auf französisch, ein Großteil des Zielpublikums sind Analphabeten), beschließt Sembène, sich der „Universalsprache Kino“ zuzuwenden. Er studiert 1962 in Moskau Film und realisiert im Jahr darauf seine erste, kurze Arbeit: Borom Sarret. 1966 folgt mit La Noire de – der erste schwarzafrikanische Spielfilm, zwei Jahre später mit der scharfen Satire Mandabi der erste Film in der Sprache seines Heimatlandes, Wolof.
 
Sembènes Filme verschränken das Persönliche und das Politische auf ungewöhnliche Weise: Realistisch an der Oberfläche, klar und einfach erzählt, etablieren sie einen spezifischen Tonfall, den man als „brechtischen Naturalismus“ bezeichnen könnte. Über die populäre Erzählung hinaus liefern sie beißende Allegorien und Zustandsbeschreibungen des postkolonialen Afrika (z.B. in der Impotenz-Komödie Xala, 1975).
 
Wie kaum ein anderer unter den herausragenden Regisseuren des Weltkinos hat Sembène von Beginn an mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen; er lebt hauptsächlich von seinen Einkünften als Autor. Sein Werk ist deshalb für westliche Begriffe eher schmal – und zugleich makellos: Nach den meisterhaften Epen über den Horror der Kolonialzeit (Emitaï, Ceddo und Camp de Thiaroye) folgt mit Guelwaar (1992) eine Verschränkung des bisherigen Werks. Sembènes jüngste Arbeiten, die erstaunlich heitere Komödie Faat Kiné und Moolaadé, ein hellsichtiges Drama über Beschneidung, befassen sich vor allem mit der Rolle der Frau: In ihr sieht Sembène den wahren Hoffnungsträger für die erfolgreiche und tatsächlich unabhängige Konstruktion einer afrikanischen Gesellschaft.
 
Die erste Vorstellung von „Moolaadé“ findet am 27. Oktober im Rahmen der Viennale statt, die zweite – am 1. November – bildet den Auftakt der Retrospektive im Filmmuseum.
 
Neben sämtlichen Werken Ousmane Sembènes präsentiert die Schau den Dokumentarfilm „Sembène: The Making of African Cinema“ (1994) sowie eine große Lecture des Wiener Kulturkritikers Christian Höller.
 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung von KommEnt – Gesellschaft für Kommunikation und Entwicklung statt. Dank an Bärbel Mauch und Bernd Wolpert.