Messidor, 1979, Alain Tanner

Moving Landscapes
Landschaft und Kino

12. bis 30. November 2004

 

Die Verbindung von „Landschaft“ und „Kino“ erscheint offensichtlich: Man denkt zunächst an den Western und seine Erschließung neuer Territorien oder an vorbeiziehende Landstriche in Road Movies. Doch dieses Zusammenspiel artikuliert sich nicht allein im Genrefilm – und es geht weit über „schöne Kulissen“ hinaus. Die Filmschau Moving Landscapes stellt eine deutlich reichere, modernere Vorstellung von „filmischer Landschaft“ ins Zentrum: sechzig Arbeiten, assoziativ und kontrastreich verknüpft, vom Beginn des Kinos bis zur zeitgenössischen Film- und Videoproduktion.

 
Die filmische Landschaft widerspricht einer statischen Auffassung von Natur: Die Bild- und Imaginationsmaschine Film setzt Landschaften in Bewegung, nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit. Der Film transformiert die Landschaft – mitsamt den Spuren politischer, kultureller und ästhetischer Prozesse, die sich ins „Gelände“ eingeschrieben haben. Dieser Zusammenhang zwischen der filmischen Darstellung und einer sozialen Wirklichkeit der Natur zieht sich in unterschiedlichen Linien durch das Programm der Schau.
 
Eine dieser Linien steckt Landschaft als politisches und ökonomisches Terrain ab – als Arena gesellschaftlicher Diskurse. Angefangen mit Filmen, die unmittelbar von Politik erzählen – z.B. von Krieg oder Kolonialismus (wie The Thin Red Line von Terrence Malick, Chocolat von Claire Denis, Amerikai anzix von Gábor Bódy), über Arbeiten, die soziale Konflikte an bestimmten Landschaften konkretisieren (z.B. Chantal Akermans De l’autre côté), bis hin zu einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und geschlechtlich kodierten Räumen (in Messidor von Alain Tanner, bei Wim Wenders oder in Ursula Biemanns Performing the Border).

 
Eine andere Linie setzt die Landschaft als „Protagonistin“ ein: als Spiegel menschlicher Emotionen und Befindlichkeiten (wie in Roberto Rossellinis Stromboli oder Victor Sjöströms The Wind), als eigenständige Darstellerin des „großen Anderen“ vis-à-vis der menschlichen Figur (Gerry von Gus van Sant; La Captive du désert von Raymond Depardon) oder als Verkörperung des Unheimlichen, das in eine scheinbar geordnete Welt einbricht (Peter Weirs Picnic at Hanging Rock).
 
In einem dritten Zweig der Schau tritt „Film-Landschaft“ deutlich als technisch konstruierte Umgebung auf, vermittelt durch die Apparatur, die unsere Wahrnehmung lenkt. Die frühe Faszination des Films für die Schönheit – den scheinbar „naturgegebenen“ Schauwert – einer Landschaft wird konterkariert von avancierten Filmen und Videos, die in ihr primär „Material“ sehen; ein Material, das bearbeitet werden muss, um überhaupt lesbar, sichtbar, erkennbar zu sein. In mehreren Kurzfilmprogrammen wird dieser Ansatz vorgestellt: von Filmen im Umfeld der Land Art (z.B. Robert Smithsons Spiral Jetty) über die strenge Schönheit des klassischen Strukturalismus (Michael Snows La Région centrale oder Arbeiten von Kurt Kren und Chris Welsby) bis hin zu den Verfremdungen und digitalen Bearbeitungen der jüngsten Zeit (z.B. in Arbeiten von Doug Aitken, Michaela Grill, Katarina Matiasek oder Tim Macmillan).
 
Je „offensichtlicher“ Landschaft erscheint, umso eher entzieht sie sich der genaueren Betrachtung und Begrifflichkeit. Aus diesem Grund will die Schau neue Wahrnehmungweisen anbieten – nicht nur mit Hilfe der Filme, sondern auch durch mehrere Lectures, Werkpräsentationen und Einführungen. So werden etwa die Künstler/innen und Theoretiker/innen James Benning, Ursula Biemann, Gustav Deutsch & Hanna Schimek, Brigitte Franzen, Jyoti Mistry, Michael Palm, Lotte Schreiber, Kristina Trolle & Fred Truniger (jeweils Samstag und Sonntag nachmittags) ihre Lesarten des Themas vorstellen.
 
Einen besonderen Höhepunkt bildet der Besuch von James Benning, der nach seinem Vortrag seine beiden neuen Filme Ten Skies und 13 Lakes als Double Feature zeigen wird. Ten Skies erlebt im Filmmuseum seine Weltpremiere. (Barbara Pichler und Andrea Pollach, Kuratorinnen)
 
Die Lectures finden in Zusammenarbeit mit SYNEMA Gesellschaft für Film und Medien statt. Bei SYNEMA wird in der Folge ein Buch zum Thema erscheinen, herausgegeben von Barbara Pichler und Andrea Pollach.

 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung der VDFS 
Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden statt.

Zusätzliche Materialien
In person Videodokument James Benning 21. November.2004