Artists and Models

The Unquiet American
Transgressive Comedies from the U.S.

7. Oktober bis 5. November 2009
 
Die gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums widmet sich heuer einem der reichsten Kontinente des Kinos – der amerikanischen Filmkomik. Mit Jonathan Rosenbaum konnte für dieses Projekt ein Kurator gewonnen werden, der seit den 70er Jahren zu den bedeutendsten Autoren und Kritikern im Filmbereich gehört und u. a. für seinen beißenden Sarkasmus gegenüber der dominanten US-Kultur und -Politik der letzten Jahrzehnte bekannt ist. Die Zuspitzung des Themas ist damit schon angedeutet: Es geht hier nicht um eine affirmative Anthologie von Höhepunkten der Gattung im Sinne eines historischen Abhakens, sondern um jene Linien im komischen Kino der USA, die einer ­„Ruhe­störung“ gleichkommen. Das Unbändige, Widerspenstige, manchmal auch Exzessive dieser Filme ist dazu angetan, den „Amerikanischen Charakter“ zu erhellen – ganz egal, ob dies bewusst oder unwillentlich geschieht.
 
Die „Transgression“, die Rosenbaum an den 55 ausgewählten Werken identifiziert, nimmt viele verschiedene Formen an. Sie reicht von der nur scheinbar stoischen Tatkraft Buster Keatons bis zu den aberwitzigen Popkultur-Attacken von Jerry Lewis und Frank Tashlin, von der anarchischen Wucht und Wildheit der besten Cartoons (Tex Avery, Chuck Jones, Friz Freleng) bis zum subtilen ­Jewish-American humor von Elaine May und Albert Brooks. Sie findet sich im Werk großer Klassiker wie Howard Hawks, Billy Wilder, Preston Sturges, Ernst Lubitsch oder George Cukor ebenso wie bei den Zeitgenossen Spike Jonze, Wes Anderson oder Joe Dante; im Independent-Kino seit Anfang der 70er Jahre (bei John Waters, Jim McBride und der Wiederentdeckung Chameleon Street von Wendell B. Harris, Jr.) wie bei den Künstlern der US-Avantgarde (Jack Smith, Manuel De Landa, Owen Land). Die beiden zeitlichen Pole der Filmauswahl sind auch Extrempole, was den Tonfall angeht: Die köstliche ­Psycho­analyse-Parodie und Abenteuer­komödie When the Clouds Roll By (1919), der beste Film mit Douglas Fairbanks, steht am ­Anfang; Idiocracy (2006), eine unfassbare Zukunftsvision von Mike Judge, dem Schöpfer von Beavis and Butt-Head, ist der aktuellste Spielfilm im Programm (und erlebt hier seine österreichische Erstaufführung).
 
Für den Kurator ist die Schau eine zweifache Selbstbefragung: Ein US-Ameri­kaner denkt vor europäischem Publikum darüber nach, wie im US-Kino beunruhigend komische Bilder von Amerika(nern) erzeugt wurden und werden. Seine Hauptziele bei der Auswahl waren „Vergnügen und Aufklärung; und da es Komödien sind, war wohl auch ein Kriterium, ob ich sie persönlich wirklich lustig finde“. Wenn das Programm Orson Welles neben Walt Disney und Steven Spielberg neben Laurel & Hardy stellt, fliegen nicht nur die Funken, sondern auch überraschende Projektile, die die Wand zwischen „Mainstream“ und „Kunst“ oder zwischen dem wahnhaft Grotesken und einem scharfen kritischen Impetus problemlos durchschlagen. Um andererseits ein Minimum an Ordnung in die glorreiche Unordnung zu bringen, hat Rosenbaum fünf lose Sub-Kategorien entworfen: Amerikaner in Übersee (darunter etwa William Kleins böse, antiamerikanische Satire Mr. Freedom), Klassenverhältnisse und ethnische Spannungen (von Sturges’ Christmas in July bis zum ideal betitelten Geniestreich Laughter von Harry d’Abbadie d’Arrast), Kulturelle Probleme (wie im Klavierunterricht-Horrormusical The 5,000 Fingers of Dr. T.), Anarchie – ­dekonstruktiv und romantisch (von Spielbergs 1941 bis zu den Gebrüdern Marx) und Sexuelle Dilemmas (von John Waters’ Female Trouble bis zu Jim McBrides Sexfilm Hot Times).
 
Der Titel der Retrospektive spielt mit einer literarischen Tradition der 50er Jahre: Romane wie Graham Greenes The Quiet American oder William J. Lederers und Eugene Burdicks The Ugly American (die beide auch verfilmt wurden) entwarfen damals den Charakter des zurückhaltenden „Amerikaners mit besten Absichten“, dessen reale Aktivitäten aber – vor allem in der Fremde, in Südostasien – beträchtlichen Schaden anrichten. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts, so Rosenbaum, „waren die wirklichen 'ugly Americans‘ keine zurückhaltenden 'quiet Americans‘ mehr – im Gegenteil: Sie prahlten laut mit ihrer eigenen Unwissenheit. Dies hat mich im Endeffekt auf den Titel der Schau gebracht, der ein ganz bestimmtes amerikanisches Temperament postuliert: ein unbekümmertes, ungezügeltes und häufig solipsistisches Gemüt, das zugleich erheiternd und gefährlich ist, und das Anarchie, Chaos und andere transgressive Schlamassel anrichtet, wo immer es sich aufhält“.
 
Anlässlich der Retrospektive erscheint ein umfangreicher Katalog mit Essays und Texten von Jonathan Rosenbaum über die Filme der Schau. Jonathan Rosenbaum wird zum Auftakt in Wien zu Gast sein und von 7. bis 9. Oktober täglich einführende Überlegungen zu den gezeigten Filmen präsentieren.
 
In den kommenden Monaten wird die Untersuchung des Komischen im Kino weiter geführt: Im November zeigt das Filmmuseum zwei Österreich-Premieren von Filmen mit Will Ferrell, im Dezember (zum ersten Mal seit nahezu 30 Jahren) eine Gesamtschau des Werks von Charles Chaplin und im Jänner 2010 ein umfassendes Programm über Dino Risi und die Commedia all’italiana der 1960er und frühen 70er Jahre.
Zusätzliche Materialien