On the Waterfront, 1954, Elia Kazan

Elia Kazan: Man on a Tightrope

18. Februar bis 4. März 2010
 
Elia Kazan war einer der meist bewunderten und zugleich umstrittensten Theater- und Filmregisseure der Nachkriegsära. Aus dem von ihm mitbegründeten New Yorker Actors Studio brachte er einen neuen Schauspielstil ins Kino, das von Stanislawski beeinflusste method acting – und damit auch eine neue Generation amerikanischer Filmdarsteller. Insbesondere Marlon Brandos intensive und ungemein lebendige Darstellungen in Kazans Klassikern A Streetcar Named Desire und On the Waterfront schrieben Filmgeschichte.

 
Dazwischen hatte der Regisseur selbst jenen Auftritt geliefert, der seine Karriere überschattete: 1952, am Höhepunkt der antikommunistischen Hexenjagd von Senator McCarthy kooperierte der einflussreiche Ex-Kommunist Kazan mit dem „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ und nannte die Namen von acht Kollegen – ein Verrat, der noch 1999 bei der Verleihung des Ehren-Oscars an Kazan zu einer demonstrativ gespaltenen Reaktion führte. „Was ich getan habe, war korrekt“, verteidigte er sich in seiner Autobiografie, „aber war es auch richtig?“ Die Spuren im Werk sind tief: Das Thema des Verrats prägt viele Kazan-Filme nach 1952. Zugleich legen sie Zeugnis ab von einer wachsenden filmischen Ausdruckskraft, kulminierend in den lyrischen Meisterwerken Wild River und Splendor in the Grass, die in ihrer ungebärdigen Leidenschaft als Vorboten des New-Hollywood-Kinos gelten können. Mit dem düsteren und unabhängig produzierten The Visitors (nach einem Drehbuch seines Sohns) kehrte Kazan 1972 ein letztes Mal zum Sujet des Verrats zurück, diesmal vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs.
 
Trotz seiner Erfolge fühlte sich Kazan stets als Außenseiter. Elia Kazancioğlu kam 1909 als Sohn anatolischer Griechen in Istanbul zur Welt und bald darauf mit seiner Familie nach New York. Sein persönlichster Film, America, America, schildert die vorausgehende Emigration seines Onkels als amerikanischen (Einwanderer-)Traum. Kazan selbst träumte vom Film und wurde zunächst Mitglied eines unabhängigen linken Bühnenkollektivs: des New Yorker Group Theatre. Als kleiner, vitaler Darsteller stieg er ein – und schnell zu einem führenden Broadway-Regisseur auf. Zu seinen ­bahn­brechenden Theaterarbeiten zählen etwa die Uraufführungen von Thornton Wilders Skin of Our Teeth, Arthur Millers Death of a Salesman und Tennessee Williams’ A Streetcar Named Desire.
 
1945 kam der heiß ersehnte Anruf aus Hollywood: Elia Kazan de­bütierte mit dem Entwicklungsroman A Tree Grows in Brooklyn. Lange Zeit unterschätzt, wird der Film heute als einer seiner schönsten gewürdigt. Es folgten Auftragsarbeiten zwischen Bühnen­triumphen: einige eher zahnlose message movies, aber auch zwei Krimis, bei denen er erstmals an Originalschauplätzen drehen konnte. Deren atmosphärische Verwendung wurde ein Schlüsselelement von Kazans Kino, obwohl er sich in A Streetcar Named ­Desire noch einmal ganz bewusst dem Kammerspiel verschrieb.
 
Ebenso wie die wiederkehrenden Generationskonflikte in seinen Filmen ist das Wechselspiel von Naturkulisse und Bühnenbild bezeichnend für die Gespaltenheit von Kazans Kunst. Sie äußert sich auch im Aufeinanderprall von barocken filmischen Effekten und thea­tralischen Methoden – oder im Widerspruch zwischen seinen traditi­onellen „Traumfabrik“-Vorstellungen und der Sehnsucht nach Veränderung. Diese Gespaltenheit wird buchstäblich greifbar: im Treibhaus-Überdruck seines exzessiven Schauspielerkinos, in der Vorliebe für kontroverse Sujets und in der Kavalkade schwitzender Körper und frischer Gesichter, die das Kino prägen werden – darunter James Dean in East of Eden, Carroll Baker und Eli Wallach im einst skandalösen „Sexfilm“ Baby Doll, Lee Remick in Wild River oder Warren Beatty in Splendor in the Grass. Mit seiner Mischung aus Altem und Neuem begleitete Kazan exemplarisch das Ende der Studioära in Hollywood.
 
Seine zahlreichen Balanceakte machten ihn zum Man on a Tightrope – wie im Titel jenes Films, mit dem er 1953 nach der McCarthy-Aussage seine antikommunistische Positionierung pflichtschuldig belegte. In einem charakteristischen Ausweichmanöver behauptete Kazan später, nicht er selbst, sondern Gerd Oswald hätte den Großteil dieses Films inszeniert.
 
Das Filmmuseum zeigt eine Auswahl aus Elia Kazans Schaffen, darunter auch seine raren Kurzfilmarbeiten im Umfeld der linken New Yorker Szene vor 1945, seine (und Nicholas Rays) Screen Tests mit James Dean sowie den Interview-Film Elia Kazan. An Outsider aus dem Jahr 1982.