Fritz Lang in

Fritz Lang. Das Gesamtwerk

18. Oktober bis 29. November 2012

Die gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Filmmuseums gilt einem jener Künstler, die vom alten, weltmachtseligen Österreich des 19. Jahrhunderts an die neue, tatsächliche Weltmacht des 20. Jahrhunderts übergeben wurden. Fritz Lang ist ein Wiener des Jahrgangs 1890, aber vor allem ist er das Kino. Er hat die Möglichkeiten des Spielfilms in einer Weise mitgestaltet und ausgekostet, wie man das nur von wenigen anderen Vertretern dieser Kunstform sagen kann.

 
Neben Erich von Stroheim, G. W. Pabst und Josef von Sternberg stellt Lang Österreichs wichtigsten Beitrag zur „Filmklassik“ dar – wobei diese anderen viel stärker mit ihrem Heimatland identifiziert werden als er. Symptomatisch dafür ist Langs Eintrag in der US-Kino-Enzyklopädie von Bertrand Tavernier und Jean-Pierre ­Coursodon. Der Geburtsort wird korrekt angegeben, dann aber steht zu lesen: „Fritz Lang ist ein Deutscher.“ Und tatsächlich: Mehr als jeder andere Zugereiste unter den Filmschaffenden, die in ­diesem oder jenem Deutschland ihre Kunst schufen, hat sich Lang auf das Land, dessen Mythologie und Psycho(patho)logie eingelassen. Dies nicht nur in den Werken, die dort entstanden, sondern auch später im US-Exil, wo er neben expliziten Anti-Nazi-Filmen mehrere Arbeiten schuf, die Themen oder Motive aus seinem deutschen Œuvre aufnahmen – so als suchte und fände er dieses Land, wohin auch immer er schaute. Deutschland, das weiß der Österreicher, ist eine Frage des Blicks.
 
Filmhistorisch war Lang immer da, wie Chaplin oder Eisenstein. Zumindest fühlt es sich so an, wenn man Rückschau hält auf die schriftliche und mündliche Tradierung. Lang war stets ein Beispiel dafür, was Kino ausmacht – aber welches Kino? Und was genau macht es bei ihm aus? Die unterschiedlichsten cinephilen Gruppierungen hoben ihn auf ihr Schild und betonten dabei jeweils andere Perioden seines Schaffens, andere Aspekte seines Genies: Den ­einen ist allein der Großfilm-Lang der 1920er Jahre etwas wert (vom doppelten Dr. Mabuse über Die Nibelungen bis Spione und Die Frau im Mond), andere verehren nur seine späten, mit wenig Geld realisierten Höhepunkte im Genrekino Hollywoods (The Big Heat, Moonfleet oder Beyond a Reasonable Doubt). Wieder andere finden ihre Seligkeit dort, wo Lang dem naiven Abenteuer bzw. der ­Kolportage am nächsten steht – im Frühwerk (z. B. Die Spinnen) und im darauf Bezug nehmenden spätesten Spätwerk (Das indische Grabmal oder Die 1000 Augen des Dr. Mabuse). Eine vierte Fraktion insistiert kontextübergreifend auf seiner Bedeutung als ­Sozial­kri­tiker (von M über Fury und You and Me bis While the City Sleeps), eine fünfte feiert in ihm den Idealgegenstand fürs psychoanaly­tische Besteck (The Woman in the Window, Blue Gardenia, Rancho Notorious). Genau dies ist vermutlich die Qualität, die einen legi­timen Pantheon-Bewohner charakterisiert: dass sein Schaffen immer wieder, anders, neu, bedeutsam bleibt, dass Generation um Gene­ration eine neue Perspektive darauf entwickeln kann.
 
Auch dazu findet sich eine signifikante Zeile bei Tavernier und Coursodon: „Es ist fast unmöglich zu erklären, warum Langs Meister­werke Meisterwerke sind.“ Neben viel französischer Cinephilen-Mystik kommt hier doch etwas Wichtiges zur Sprache: Langs Besonderheit ist leicht zu sehen, aber kaum angemessen zu ­beschreiben. Es reicht nicht, auf das visuelle Gespür des Archi­tektensohns und Malereistudenten zu verweisen, oder auf das merkwürdige, selbst in Augenblicken emotionalen Überschwangs irritierend somnambule Spiel seiner Darsteller, denn all das ändert sich im Laufe der Jahre, unterliegt dem Wechsel der Arbeitsorte – und dem Älterwerden: Während der junge Lang zu einer prallen Bildfülle strebte, sind seine späten Werke eher durch abgründig-gähnende Leere definiert, eine Verweigerung alles Dekorativen. Zu jedem Zeitpunkt ist jedoch die Unheimlichkeit der Welt spürbar – ein Wissen um die fatale Brüchigkeit des Daseins, die Abgründe, wie sie sich plötzlich auftun können im Leben und niemals schließen lassen. Möglich, dass dies eine Lektion ist, die der mehrfach verwundete Kriegsfreiwillige Lang in den Jahren 1914–18 erfuhr. Von manchen Biografen wird an dieser Stelle auch der (vermutliche) Selbstmord seiner ersten Frau durch einen Schuss aus Langs Browning-Revolver ins Spiel gebracht – ein „Fall“, der sich liest wie eine seiner finstersten Filmfabeln.
 
Anders gesagt: Lang lässt sich über diese Brüchigkeit, den tiefen existentiellen Riss, der fast alle seine Geschichten durchzieht, besser verstehen als über das Hermetisch-Vollkommene an Metropolis. Womit auch das aktuelle „Lang-Problem“ benannt wäre: Der konstante Rekonstruktionsfuror rund um den Leviathan Metropolis ­verstellt die Sicht auf den Filmemacher selbst. Alles konzentriert sich offenbar auf dieses eine Werk. Dessen Zukunftsvision wird bis heute imitiert, und der Roboter Maria hängt als globale Vulgär-­Ikone neben Marilyn Monroe, Charlie Chaplin und James Dean in den ­Büros und Wohnzimmern allüberall. Es passt gut zu Lang, dass er mit Dr. Mabuse dem Kino auch gleich eine Anti-Ikone schenkte, die sich sämtlichen Visualisierungen verweigert, denn Mabuse ist stets ein Anderer ...
 
Hangmen Also Die! ist ein weiterer Lang-Film, der mit solider Beständigkeit tradiert wird – primär ob der Mitarbeit Bertolt Brechts und aufgrund des Sujets: der Tötung Heydrichs und des darauf ­folgenden Nazi-Terrors, der im Lidice-Massaker kulminierte. Dieser erstaunliche Versuch, Thriller und episches Theater zu kreuzen, ist freilich auch, so wie Metropolis, ein Film der Gewissheit: Herz und Hand werden sich vereinen, der tschechoslowakische Untergrund wird die faschistischen Besatzer vertreiben. Langs Stärke aber war der Zweifel, die Angst vor etwas Größerem, das Wissen um das Wirken von Mächten, die sich dem Menschen gemeinhin entziehen. Das Wort Schicksal fällt oft im Zusammenhang mit seinem Werk, wieder und wieder erzählt er davon, was passiert, wenn die Mühlen zu mahlen beginnen: M, Fury und You Only Live Once ­zeigen Menschenjagden; Der müde Tod und Liliom beschreiben ein Inein­ander von Dies- und Jenseits; die Nibelungen-Filme drehen sich um einen Fluch und dessen Folgen. Man könnte Lang als Auteur der Erbsünde bezeichnen – zumindest hat niemand sonst mit einer solchen Insistenz den Menschen als fundamental verdammt gezeigt. Nur gibt es bei Lang keine Hoffnung; die hat ihm das 20. Jahrhundert ausgetrieben.
 
Die Schau umfasst sämtliche Werke des Regisseurs, viele davon in restaurierten Kopien, die z.T. erstmals in Österreich gezeigt werden – darunter etwa "Die Nibelungen" (Restaurierung 2011, mit Gottfried Huppertz‘ Originalmusik). Ausgewählte Interview- und Porträtfilme, Giorgio Moroders "Metropolis"-Bearbeitung von 1984 sowie Jean-Luc Godards "Le Mépris", in dem Lang als Darsteller seiner selbst agiert, ergänzen das Programm. Der Filmhistoriker Bernard Eisenschitz, Autor des zeitgenössischen Standardwerks zu Fritz Lang, und Oliver Hanley, Kurator im Filmmuseum, werden mehrere Einführungen halten.
 
Eine gemeinsame Veranstaltung des Filmmuseums und der VIENNALE. Begleitend erscheint eine Publikation über Fritz Lang, die zahlreiche Originalbeiträge, Interviews, autobiografische Schriften und Texte zu jedem seiner Filme versammelt.
Zusätzliche Materialien