Io la conoscevo bene, 1965, Antonio Pietrangeli

Antonio Pietrangeli

10. Jänner bis 3. Februar 2013

 

Auch Antonio Pietrangeli (1919–68) war ein Solitär, wenngleich auf andere Weise als Valerio Zurlini, mit dessen Schaffen sich das seine erst posthum kreuzte: ­Zurlini brachte Pietrangelis letzten Film Come, quando, perché zu Ende und ­achtete darauf, dass alles im Sinne des Verstorbenen geschah. Pietrangeli war am Ende der Dreharbeiten ertrunken, nachdem die letzte Klappe geschlagen war – ein Tod, wie er in einem seiner eigenen Werke hätte vorkommen können.
 
Pietrangeli hatte Medizin studiert, wandte sich aber bei der erstbesten Gelegenheit seiner wahren Liebe zu: dem Kino. Er wurde Kritiker, schrieb für die Zeitschriften Bianco & Nero und vor allem Cinema, wo er mit Giuseppe De Santis, Luchino Visconti, Gianni Puccini und Carlo Lizzani für eine Erneuerung des italienischen Films kämpfte: für den Neorealismus. Während Visconti und De Santis bald Regie führen konnten und noch während der Kämpfe um Italien zu Bahnbrechern des Nachkriegskinos wurden, konzentrierte sich Pietrangeli zunächst weiter auf das Schreiben – von ­Dreh­büchern. In diesem Metier war er nicht nur an einigen Schlüsselwerken der Periode beteiligt (von Viscontis La terra trema über ­Pietro Germis Gioventù perduta bis Viaggio in Italia von Roberto Rossellini), sondern auch an exquisiten Abweichungen wie dem übersinnlichen Eheschwank Quel fantasma di mio marito oder ­Rossellinis Totò-Komödie Dov’è la libertà ...?
 
Man erinnere sich: Das Hollywood-Genrekino war eines der ­zentralen Vorbilder, an dem sich die Cinema-Gruppe bei der Entwicklung ihrer Neorealismus-Theorie orientierte. Die deutlichen Film-Noir-Züge von Gioventù perduta oder das Spiel mit Screwball-­Elementen in Quel fantasma di mio marito verdanken sich dem nämlichen Umfeld. Pietrangeli blieb dieser Linie – der Klärung ­sozialer und zwischenmenschlicher Verhältnisse durch Genre-Termini – auch in seinen Regiearbeiten ab Mitte der 50er Jahre treu. Fantasmi a Roma etwa erzählt von besorgten Geistern und den Phantasmen der Vergangenheit; ein Erbe muss hier erkennen, dass er den Traditionen seiner Vorväter nicht entgehen kann. Wenn der Film damit endet, dass sich Marcello Mastroianni im Stammlokal seines Vorfahren an denselben Platz setzt wie dieser Tag für Tag, sehr zur Zufriedenheit der Servierherren, dann ist das so gewaltig wie niederschmetternd.
 
Die Vergangenheit lastet schwer auf Pietrangelis Prot­agonisten. Erinnerungen sind stets mit Schmerzen verbunden: Wieder und wieder müssen sie erkennen, dass sie Gefangene ­ihres bisherigen Daseins sind – und je älter sie werden, desto mehr „Gefängniswärter“ umringen sie. Im grandiosen La visita etwa ­stehen einem nicht sonderlich attraktiven Paar in spe ständig die Bilder früherer Schwärmereien im Weg. Die bewegenden Heldinnen von Adua e le compagne werden beim Versuch, ein Restaurant zu betreiben und die „moralische Wende“ Italiens zu beherzigen, von ihrer Puff-­Vergangenheit eingeholt. Ein weiteres Hauptwerk Pietrangelis, Io la conoscevo bene (Ich habe sie gut gekannt), erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die an das Boom-Versprechen von Reichtum durch Schönheit glaubt. Besser gesagt: Der Film lässt ihre Geschichte erzählen – von denen, die ihr begegnet sind; ein paar gute und viele böse Geister, die nach dem Freitod der Heldin weiter ­leben dürfen im Diesseits.
 
Das ist Pietrangelis großes Thema: „Sie“, die so viele „gut kannten“, geht ein an der gesellschaftlichen Doppelmoral. Die Herrenwelt von Il magnifico cornuto wird verrückt, weil ihre Frauen sich genauso untreu verhalten wollen wie sie – oder sind das nur die Alpträume ihrer schuldigen Seelen? Die junge Frau im Zentrum von La parmigiana scheint von Mann zu Mann zu treiben, während in Come, quando, perché das allseitige Fremdgehen längst zum Gesellschaftsspiel geworden ist, bei dem sich alle langweilen und ­keine größere Katastrophe vorstellbar ist als die wahre Liebe. Oder vielleicht doch: die Einsamkeit des ewigen Junggesellen, dargeboten von Alberto Sordi in Lo scapolo. Nur wenige andere wussten auf solch bestürzende Weise von der Geworfenheit des Menschen zu berichten wie Antonio Pietrangeli – in populärem Tonfall, liebevoll und ungemein zärtlich. Komödie und Drama sehen bei ihm stets aus wie ein einziges Ding.
 
Die Retrospektive der Werke von Valerio Zurlini und Antonio Pietrangeli wird unterstützt von Cinecittà Luce und dem Italienischen Kulturinstitut in Wien.
Zusätzliche Materialien