La ilusión viaja en tranvía (Die Illusion fährt mit der Straßenbahn)

Luis Buñuel
Das Gesamtwerk Teil 1

21. Februar bis 6. März 2008
 
In Zusammenarbeit mit der Berlinale und der Deutschen Kinemathek zeigt das Filmmuseum bis Anfang April das Gesamtwerk von Luis Buñuel (1900-1983). Der spanische Regisseur, dessen Werke fast durchwegs im Exil entstanden, war eine der zentralen Künstlerpersönlich keiten des 20. Jahrhunderts. Sein subversives und zutiefst sarkastisches, von staatlichen und kirchlichen Zensurversuchen begleitetes Schaffen ist aufgespannt zwischen der Hochblüte des Surrealismus und den Welterfolgen des europäischen Autorenfilms in den 1960er und 70er Jahren, als Buñuel mit Stars wie Catherine Deneuve, Jeanne Moreau, Michel Piccoli oder Fernando Rey arbeiten konnte.

Buñuels Werk beginnt mit einem (von ihm selbst) zerschnittenen Augapfel und endet damit, dass die Welt in die Luft fliegt. Zwischen dem explosiven Anfang Un chien andalou (1929) und dem gelassenen Abschiedsfilm Cet obscur objet du désir (1977) liegt eine der faszinierendsten Kinokarrieren überhaupt. Dem "Andalusischen Hund", den Buñuel und Salvador Dalí im Sinne einer Traumlogik entworfen hatten, folgten sogleich zwei weitere Schocker: L'Age d'or (1930), Höhepunkt der französischen Filmavantgarde, und Las Hurdes (1932), ein provokanter Filmessay über die gleichnamige Hungerzone im Südwesten Spaniens.

Danach konnte Buñuel fast 15 Jahre lang keinen Film drehen: Die Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg führte ihn ins Exil nach Paris, New York und Hollywood, und schließlich nach Mexiko, wo er seine zweite Geburt als Regisseur erlebte. Die mexikanischen Filme von 1947 bis 1962 bilden den wahren Kern in Buñuels Werk. Zwischen Klassikern wie dem Slumkinderdrama Los Olvidados (1950), das die Tradition des Neorealismus ganz vehement um Elemente des Phantastischen und Mysteriösen erweitert, und den nur scheinbar unpersönlichen Auftragsarbeiten der lokalen Filmindustrie fand er zu einem vollkommenen Ausdruck des Surrealismus.

Dessen Wirkung entspringt gerade der Bei läufigkeit der Gestaltung: Ohne Realismus ist der ganze "Sur-" nichts wert. Die Einfachheit und Transparenz des Buñuel-Stils ergänzte sich perfekt mit den Erfordernissen der mexikanischen Industrie. Ob herzhaftes "Road Movie" via Autobus (Subida al cielo) und Straßenbahn (La ilusión viaja en tranvía) oder idiosynkratische Literaturverfilmung (Adventures of Robinson Crusoe und Abismos de pasión – letzterer nach Wuthering Heights von Emily Brontë); ob erotisches Delinquentinnendrama (Susana) oder tiefschwarze Komödie über männliche Pathologie (Él und Ensayo de un crimen) – unverwechselbar bleiben dabei stets Buñuels philosophische Interessen und beiläufige Blasphemien, seine irrationalen Abschweifungen und die Vorliebe für perverse Details. Auf irritierende oder ironische Weise vermischen sich diese Eigenarten mit den Notwendigkeiten der jeweiligen Genres.

Die "natürliche" Subversion der mexikanischen Werke wurde erst spät als Buñuels Quintessenz erkannt. Die zeitgenössische Kritik akzeptierte ihn trotz aller Hymnen auf Los Olvidados und Nazarín (1959) erst dann wieder zur Gänze, als er Anfang der 60er Jahre nach Europa zurückkehrte. Nun wurde er rasch zum "Alten Meister" – und lieferte der begeisterten Bourgeoisie, die er so gern verspottete, eine Serie surrealer Gesellschaftsspiele mit Kunstwert. Wie seine brillante Autobiografie "Mein letzter Seufzer" belegt, gehört dieser Hang zum genüsslich ausgekosteten Paradoxon untrennbar zum Werk und zur Person Buñuels: ein Atheist mit Vorliebe für religiöse Debatten; ein Anarchist, der sich zur Diktatur als der besten, ja "einzig möglichen" Staatsform bekannte; ein "durch und durch bürgerlicher Kommunist". Ein begnadeter Selbstdarsteller und Geschichtenerzähler also, und: ein Genie des Kinos.

 

Der zweite Teil der Retrospektive, mit sämtlichen Buñuel-Filmen ab 1955, wird im kommenden Monatsprogramm des Filmmuseums vorgestellt. Ebenfalls im März ist jener Film zu sehen, mit dem Buñuel – als Regieassistent von Jean Epstein – in die Welt der Pariser Avantgarde eintrat: La Chute de la maison Usher (1928). Zu diesem Anlass wird auch ein neuer Band der FilmmuseumSynemaPublikationen präsentiert: die erste deutschsprachige Ausgabe der ­literarischen Essays und filmtheoretischen Schriften von Jean Epstein.

Zusätzliche Materialien