John Cassavetes am Set von A Woman Under the Influence

John Cassavetes

16. Mai bis 8. Juni 2008

 

Directing really is a full-time hobby with me. I consider myself an amateur filmmaker. (John Cassavetes)

 

John Cassavetes, 1929 in New York als Sohn griechischer Einwanderer geboren, 1989 in Los Angeles verstorben, war Zeit seines Lebens ein „Maverick“, ein Außenseiter – im amerikanischen Filmbusiness mehr geduldet als geachtet; als Schauspieler angesehener denn als Regisseur; von der avancierten Filmkritik zwar gewürdigt (vor allem in Europa), bei den Kinobesuchern aber eher als „schwierig“ verschrien.

 

Bald nach seinem Tod setzte sich beim nachwachsenden Publikum und in der heute prägenden Generation von Kritikern und Historikern eine andere Sichtweise durch: dass der „Hobbyfilmemacher“ John Cassavetes vielleicht der bedeutendste Regisseur war, den die USA nach dem Ende des klassischen Studiosystems hervorgebracht haben. Mehr noch: dass sein Kino der Körper und Gesichter, der emotionalen Intensitäten und schauspielerischen Verausgabung, der „dokumentarischen Aufzeichnung von Fiktion im Moment ihrer Entstehung“ (Ulrich Gregor) eine entscheidende Bruchlinie im modernen Kino markiert.

 

15 Jahre nach der großen Retrospektive, die das Stadtkino Wien und die Viennale im Frühsommer 1993 veranstalteten und die – samt dem dazu publizierten Buch von Andrea Lang und Bernhard Seiter und einer Folgetournee der Filme durch den deutschsprachigen Raum – zur internationalen Cassavetes-Aufwertung beitrug, zeigt das Filmmuseum alle zwölf Kinofilme des Regisseurs nochmals im Zusammenhang.

 

Cassavetes’ Regiedebüt, der 1958 und 1959 in zwei unterschiedlichen Versionen veröffentlichte Film Shadows, entstand aus einem Schauspiel-Workshop, das er 1956 initiiert hatte – ein learn­ing by doing auf den Straßen von New York, zum Teil improvisiert und von jenem Lebensgefühl geprägt, das in den 1950er Jahren schwarze und weiße Hipster-Kulturen zusammenführte (z.B. jene des Jazz und der Beat-Literatur). Die freie Ästhetik und produktionstechnische Unabhängigkeit von Shadows wurden zum Signal für ein New American Cinema; heute fungiert der Film so wie sein ­Regisseur als Gründungsmythos für das Independent-Kino in den USA. Es sollte jedoch weitere zehn Jahre dauern, bis Cassavetes ein brauchbares Produktionsmodell abseits von Hollywood etablieren konnte. Dazwischen liegen zwei (nur teilweise geglückte) Kinofilme innerhalb der Industrie, TV-Arbeiten und gutbezahlte Schauspiel-Jobs sowie eine extreme, dreijährige Phase der Arbeit an ­seinem „zweiten Debüt“. Der Film Faces (1965-68) ist dieser Neubeginn – und ein Neubeginn für das erzählerische Kino überhaupt.

 

Faces und die folgenden sieben Meisterwerke – von Husbands bis Love Streams – sind getragen von einer Konzeption des Kinos, die ganz und gar vom Schauspieler als lebendigem Wesen mit einer eigenen Wirklichkeit ausgeht. Die Darsteller sind Co-Autoren all dessen, was an Witz und Bitterkeit, Schmerz und Widerstandskraft, an condition humaine in Cassavetes’ Filmen zu erfahren ist. Sie sind seine „Familie“, bestehend aus tatsächlichen und „adoptierten“ ­Familienmitgliedern, darunter Gena Rowlands (seine Ehefrau seit 1954), Ben Gazzara, Peter Falk, Seymour Cassel und Cassavetes selbst. „There’s no such thing as a 'good actor'”, sagt Cassavetes, „acting is just an extension of life“ – mit all dessen Lücken und „Fehlern“, Stolpern, Flüstern und Schreien.

 

Seine Filme zeigen sanfte Streuner oder überdrehte Ehemänner, verzweifelte Mittelstandsmenschen, Halbgangster und Schauspieler, „immer am Rande, zwischen der Tragödie und der Groteske, zwischen der Grausamkeit und dem Mitleid, zwischen Gewalt und Zärtlichkeit – eine kleine Stimmungsänderung, und man sieht einen gänzlich anderen Film, ein wenig so, wie man in einen Spiegel sieht“ (Georg Seeßlen). Was diese Erfahrungen so intensiv macht, schreibt Anja Streiter, ist „das Ausmaß an Handarbeit, Kopfarbeit und emotionaler Arbeit. Nicht Hardware, nicht Software, sondern Wetware. Blood, Sweat and Tears, guts and nerves, love, hope, ­ideals. Es ist fast eine Kunst des 19. Jahrhunderts. Durch und durch humanistisch, romantisch, individualistisch. Es ist genau das, was sie für zeitgenössische Amerikaner so verstörend machte“.

 

In Kooperation mit dem Filmmuseum bietet das Institut für Theater-, Film- und Medienwissen­schaft der Uni Wien im Sommersemester 2008 das Forschungsseminar „John Cassavetes, Filmmaker“ an (Leitung: Elisabeth Büttner und Andrea B. Braidt). In diesem Rahmen finden im Filmmuseum vier ­öffentliche Vorträge statt  zwei davon zur Eröffnung, am 16. Mai, und zwei am 6. Juni.