Angel, 1937, Ernst Lubitsch

Ernst Lubitsch

1. Dezember 2004 bis 9. Jänner 2005
 
„Lubitschs Filme sind gemacht wie Mode und wirken wie Mode. Sie sind verführerisch. Sie wecken Wünsche und Lüste. Er demonstriert von innen, mit den Mitteln des Kinos, unsere Anfälligkeit für Ansteckung. Er zeigt ganz unverblümt, dass davon das Kino lebt.“ (Frieda Grafe)

 
Dank seiner delikaten sophisticated comedies aus den 20er, 30er und 40er Jahren gilt der gebürtige Berliner Ernst Lubitsch (1892-1947) heute als einer der großen „Erfinder“ des populären Kinos. Der legendäre Lubitsch touch ist nach wie vor unerreicht. „Wenn wir Glück hatten, gelang es uns manchmal, einen Film wie von Lubitsch zu machen. Wie von Lubitsch, kein echter Lubitsch“, so der Bewunderer Billy Wilder, über dessen Bürotür ein Schild mit der Aufschrift prangte: „How Would Lubitsch Have Done it?“
 
Antworten auf diese Frage geben nur die Filme selbst: Im Dezember und Jänner präsentiert das Filmmuseum – erstmals in Österreich – eine Retrospektive sämtlicher erhaltener Werke von Ernst Lubitsch; die Schau enthält eine Vielzahl wiederentdeckter, farbenprächtig restaurierter Filme und mehrere rare Kopien aus den USA und Europa.
 
Die berühmten Tonfilmkomödien, vom menage à trois-Meisterwerk Trouble in Paradise (1932) bis zur klassischen Nazi-Farce To Be or Not to Be (1942) erscheinen mit ihrer abgründigen Leichtigkeit und eleganten Verdichtung als Inbegriff des Lubitsch-Werks, doch in seiner Kunst lässt sich ein noch viel weiteres Feld entdecken: die frechen Stummfilm-Komödien aus den späten 1910er Jahren (darunter Geniestreiche wie Die Puppe oder Die Austernprinzessin); die Historienspektakel, die ihm zu internationalen Ruhm verhalfen (etwa Madame Dubarry); die mühelos zwischen Witz und Schmerz schwebenden US-Stummfilme der 20er Jahre, darunter die „Wiener Komödie“ The Marriage Circle und die definitive Oscar-Wilde-Adaption Lady Windermere’s Fan; und schließlich der leichtfüßige Wechsel zum Tonfilm mit einem Zyklus doppelbödiger Musicals rund um Maurice Chevalier und Jeanette MacDonald. Diese beständige Entwicklung und Verfeinerung der Lubitsch-Ästhetik kulminiert in den schwerelosen (zugleich hochartifiziellen) Klassikern der 30er und 40er Jahre – in Filmen wie One Hour With You, The Merry Widow, Bluebeard’s Eighth Wife, Ninotchka, The Shop Around the Corner, Heaven Can Wait oder Cluny Brown.
 
Der Sohn eines jüdischen Schneiders kam während seiner Gymnasialzeit mit der Bühne in Kontakt und war schnell begeistert. Als die Familie auf einer gutbürgerlichen Tätigkeit bestand, begann Lubitsch ein Doppelleben: Buchhalter im elterlichen Betrieb bei Tag, Cabaret-Auftritte in der Nacht. 1911 ging er zu Max Reinhardt, ab 1913 trat er auch – meist als vorwitziger Lehrling – in Filmkomödien auf. Seine rasche Popularität erlaubte ihm den Wechsel zu Produktion und Regie. „Schauspieler“ blieb er jedoch bis zuletzt: Oft spielte er seinen Akteuren ganze Szenen am Set selbst vor.
 
Der Erfolg seiner Komödien verschaffte Lubitsch Großfilmprojekte, meist mit Pola Negri und Emil Jannings. Diese üppigen Kostümfilme besitzen trotz Massenaufgebot starke, für Lubitsch charakeristische Momente der Intimität – sein Credo: „Meine Filme ent-opern und meine historischen Gestalten vermenschlichen“. Dies gilt auch für die zutiefst musikalischen und komödiantisch-erotischen Filme, die er ab 1923 in den USA drehte. Es sind – obwohl meist in Europa angesiedelt – Satiren über die amerikanische Faszination für Sex und Geld. „I prefer Paris, Paramount to Paris, France“, sagt Lubitsch und bringt damit seine Liebe zur Studiokunst, zur stupenden Künstlichkeit und Kunstfertigkeit seiner Arbeit auf den Punkt. Ein kosmopolitischer Entertainer, für den Geografie (und Innenarchitektur) sehr viel mit Fantasie (und Begehren) zu tun hat.

 
Bei Paramount entsteht der Großteil von Lubitschs Tonfilmen, hier leitet er zeitweise auch die Produktion für das Gesamtstudio. Seine angegriffene Gesundheit verringert in den 30er Jahren zwar sein Arbeitstempo, doch die Filme mit Marlene Dietrich (Angel), Gary Cooper (Design for Living), Greta Garbo (Ninotchka), James Stewart (The Shop Around the Corner) oder Charles Boyer und Jennifer Jones (Cluny Brown) zeigen noch einmal, zu welchen Höhenflügen das Starsystem imstande ist – wenn sich die Stars als Komplizen des Regisseurs verstehen, als Rohmaterial für die Arbeit einer herausragenden künstlerischen Intelligenz.
 
Das Kino von Ernst Lubitsch handelt von der Macht des Scheins, von Trug, Maskerade und „uncertain feelings“. Es besitzt Schärfe, (aufgeklärte) Romantik, manchmal auch Melancholie und es ist äußerst bewandert in Dingen der Psychologie, Ökonomie, Politik. Es ist: zeitnah und zeitlos zugleich. Frieda Grafe: „Man staunt oder man lacht laut auf, Augen und Mund weit offen.“
 
Einige Vorstellungen im Dezember werden von Gerhard Gruber auf dem Klavier begleitet. Am 14. Dezember präsentiert Stefan Drößler vom Filmmuseum München besondere Raritäten und Fragmente aus Lubitschs Werk.

 
Die Retrospektive wird durch das Österreichische Filminstitut und den Fachverband der Film- und Audiovisionsindustrie unterstützt und findet in Partnerschaft mit dem Filmmuseum München und der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden) statt.