Il gattopardo, 1963, Luchino Visconti

Luchino Visconti

10. Jänner bis 3. Februar 2005
 

Luchino Visconti (1906-1976) zählt zu den einflussreichsten Künstlern der Nachkriegszeit. Er war einer der Mitbegründer des filmischen Neorealismus, revolutionierte ab 1945 das italienische Theater und entwickelte im stetigen Wechsel zwischen Kino, Bühne und Oper eine singuläre Ästhetik, in der sich diese Ausdrucksformen verbinden.
 
Viscontis Filme wie etwa Ossessione (1943). La terra trema (1948), Rocco e i suoi fratelli (1960) oder Il gattopardo (1963) haben die Geschichte des Kinos entscheidend geprägt, doch obwohl er schon zu Lebzeiten als Klassiker galt, blieb er stets kontroversiell. Sein Werk und seine Person sind von Paradoxa durchzogen: Visconti, Sohn des Adels und Marxist, ist von der untergegangenen Kultur des Fin de siècle, in deren Geist er erzogen wurde, ebenso fasziniert wie von den (Klassen-)Kämpfen seiner Zeit. Er formt das Kino, die Kunstform des 20. Jahrhunderts, neu aus dem epischen Atem, der die Literatur und Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts prägte.
 
Visconti wendet sich immer wieder der Weltliteratur zu (Dostojewskij, Lampedusa, Camus, Thomas Mann) und inszeniert mehrmals historische Stoffe, aber er verliert die Gegenwart nie aus den Augen. In Viscontis Kino entsteht ein Portrait der geschichtlichen Kräfte, die das politische und ästhetische Empfinden des 20. Jahrhunderts bestimmt haben. Mit atemberaubender Dekorversessenheit, die ein Maximum an realistischem Detail und kunstvoller Stilisierung anstrebt, rekonstruiert er eine "verlorene Zeit", deren Untergang unausweichlich erscheint – die aber stets auch die Möglichkeit eines anderen Geschichtsverlaufs evoziert. Er erschafft eine eigene Poetik der Zeit: genuine "Zeit-Bilder", die ihn als großen Dialektiker ausweisen.
 
Viscontis Jugend ist vom aristokratischen Lebenswandel bestimmt. Geboren als Herzogssohn in Mailand, erhält er eine umfassende Bildung, führt ein finanziell unabhängiges Dasein, zunächst als Pferdezüchter und Reisender. In den 30er Jahren beginnt er sich für Theater und Kino zu interessieren, die Begegnung mit Jean Renoir (dessen Film Une partie de campagne er 1936 als Regieassistent begleitet) prägt ihn entscheidend: Er beginnt sich politisch zu engagieren, wird Mitarbeiter der Filmzeitschrift Cinema, wo sich in den ersten Kriegsjahren jene oppositionellen Kräfte sammeln, die bald den neoverismo begründen werden. Sein Debüt, das naturalistische Krimi-Melodram Ossessione wird zwar wegen seiner sozialkritischen Tendenz prompt verboten, wirkt aber wie ein neorealistisches Manifest: Kino über den Konflikt zwischen "lebendigen Menschen und den Dingen, in denen sich gesellschaftliche Zwänge spiegeln".
 
Nach Kriegsende wird Visconti zum Erneuerer des italienischen Theaters, inszeniert mehrere Opern, darunter einige der wichtigsten Callas-Aufführungen, und überträgt diese Erfahrungen auf seine Kino-Arbeit (bzw. umgekehrt). Politisch bekennt er sich zu Gramscis Marxismus der Krise. La terra trema, seine Erzählung vom Untergang einer sizilianischen Fischerfamilie angesichts des hereinbrechenden Kapitalismus, ist einer der Klassiker des realistischen Films, weist aber zugleich schon opernhafte Züge auf. Mit seinem ersten historischen Drama Senso (1954) meistert Visconti jene spezifische Idee des Gesamtkunstwerks, die ihm vorschwebt: eine Verbindung von filmischer Opulenz, theatralischer Choreografie und einer zutiefst zeitgenössischen Konstruktion von Geschichte.
 
Ein möglicher Kulminationspunkt seiner Kunst ist die unvergleichliche, vierzigminütige Ballsequenz am Ende von Il gattopardo, die wie ein Bewusstseinsstrom des Protagonisten gestaltet ist: Der alte Fürst realisiert während des Garibaldi-Befreiungskriegs, dass seine Welt zum Vergehen bestimmt ist. Das Thema des Untergangs prägt auch Viscontis Spätwerk: In seiner "Deutschen Trilogie" (1968-73) beschäftigt er sich mit dem Umschlag der aristokratisch-bürgerlichen Kultur in Todeskult und Barbarei während der Nazizeit (The Damned) bzw. mit ihrem anämischen Vergehen in der ästhetischen Sublimierung (Death in Venice) und der totalen Weltflucht (Ludwig – Viscontis monumentalstes und persönlichstes Werk).
 
Das opernhafte Pathos und die extreme Stilisierung im Spätwerk tragen Visconti den Vorwurf der Dekadenz und der Weltfremdheit ein. Seine letzten beiden Meisterwerke, die er schwerkrank, vom Rollstuhl aus inszeniert, wirken wie eine Antwort darauf: Gruppo di famiglia in un interno (1974) handelt von der Unmöglichkeit des Rückzugs in den Elfenbeinturm, und L'innocente (1976) ist eine endgültige, rücksichtslose Abrechnung mit jener Geisteshaltung der Jahrhundertwende, aus der die Monstren des 20. Jahrhunderts hervorgingen.
 
Die Retrospektive findet mit großzügiger Unterstützung des Italienischen Kulturinstituts in Wien statt. Auf Initiative des Österreichischen Filmmuseums wird die Schau im Anschluss auch vom Filmmuseum München und der Cinémathèque Municipale de Luxembourg gezeigt