Infame Bilder. Im Kino der Kontrollgesellschaft

13. bis 26. Mai 2004
 
Im Rahmen der Wiener Festwochen präsentiert das Filmmuseum ein umfangreiches thematisches Projekt, das aus dreißig Filmprogrammen und einem dreitägigen Symposium besteht. Infame Bilder widmet sich Fragestellungen, die unsere politische bzw. mediale Gegenwart auf vielfältige Weise bestimmen.
 
Der Abbau des Wohlfahrtsstaates hat seine Ergänzung in der Aufrüstung medialer Überwachungsstrategien gefunden. Wir leben in einer "Ära der Kontrollgesell-schaft" (Gilles Deleuze), die sich durch eine allumfassende Sicherheitsdoktrin legitimiert. Die politische Kalkulation mit Ängsten und Verunsicherungen hat die maßlose Erzeugung von „infamen Bildern“ zur Folge: Dank Videoüberwachung werden öffentliche Räume heute zusehends zu Schauplätzen für eine polizeiliche Erfassungslogik. Die solcherart hergestellten Bilder des Infamen ergeben jedoch kein Abbild der sozialen Realität, sondern sind das Konstrukt spezifischer Wissens-techniken und -apparaturen. Gleichzeitig durchdringt das Arsenal von Videokameras, Webcams und digitaler Datenregistrierung auch den privaten Raum – ein Indiz dafür, dass (Selbst-)Kontrolle heute zum verinnerlichten Image und Selbstbild unserer Alltagskultur geworden ist.
 
Der historische Zusammenhang zwischen dem Film als Aufzeichnungsmedium einerseits und den Humanwissenschaften als politischer Technologie andererseits bildet einen der Schwerpunkte von Infame Bilder. Schon lange vor dem gegenwärtigen „Paranoia-Hype“ wurde in Filmen wie Jean Genets Un Chant d’amour, Hitchcocks Rear Window oder in Fritz Langs Mabuse-Filmen die Dialektik von Voyeurismus und Exhibitionismus erkundet: die Macht der Sehenden gegenüber denen, die gesehen werden (wollen).
 
Ende der 1970er Jahre vollziehen liberal-demokratische Gesellschaften den Wechsel von direkten zu indirekten Methoden der Kontrolle. Begriffe wie „Internalisierung“ und „Normalisierung“ stehen für einen neuen Diskurs des Regierens, der von Sanktion zu Motivation übergeht. Das Ideal der „Selbstverwirklichung“ entspricht dabei der Logik der Paranoia, derzufolge wir gar nicht mehr wissen können, ob unser Verhalten manipuliert ist.
 
Diesen Konflikt übersetzen US-Blockbuster in populäre Mythen und setzen obskure Verschwörungs-kulturen von Regierung, Computertechnologie, Psychiatrie und Pharmazie episch in Szene – von Brian De Palmas Blow Out und Tron bis zur Truman Show und Enemy of the State. In suggestiven Bilderwelten einer allgegenwärtigen, anonymen „Macht der Gesellschaft“ werden sozialpsychologische Erklärungsmuster aufgerufen: Mind Control, Brainwashing und Konditionierung. Dabei geraten die filmgeschichtlichen Bezüge der Video-Pilotversuche im Labor-Container leicht in Vergessenheit: z.B. Obedience (1963), die Verhaltensstudie von Stanley Milgram, oder das von Phillip Zimbardo geleitete Stanford Prison Experiment von 1971. Die Engführung von Bildmedium und experimenteller Beobachtung verweist auf einen aktuellen Trend: Reality TV im Big Brother-Format simuliert heute für „Geständnis-tiere“ (Michel Foucault) die panoptische Überwachungssituation des wissenschaftlichen Labors.
 
Dokumentarfilme wie Die Bewerbung von Harun Farocki zeigen, wie sich Leistungs- und Managementdiskurse als Herrschaftsstrategien im Alltag etablieren. Die neoliberale Doktrin der „Selbstregierung“ durchdringt auch das Privatleben und strukturiert zusehends soziale Beziehungen, wie Atom Egoyans Family Viewing auf eindringliche Weise vorführt.
 
Filme wie Helke Sanders Eine Prämie für Irene, Michael Kliers Der Riese oder Suicide Box des Bureau of Inverse Technology dekonstruieren den beispiellosen Datenerhebungsfeldzug der Videoüberwachung. Sie durchkreuzen das überwachende Sehen und rücken einen Blick ins Bild, der „zurückblickt“. Diese Herstellung von Gegenbildern ist abhängig vom „nichtkontrollierten“ Zugang zu Produktionsmitteln: Beispielhaft dafür stehen auch die Video-Agitation der frühen 80er Jahre (Züri brennt), das Super-8-Medium (Filmische Subversion in der DDR 1976-89) oder die Arbeit mit Found-Footage-Film (wie im Werk von Craig Baldwin).
 
In diesem Sinne repräsentieren Infame Bilder nicht bloß öffentliche Zensur und verstärkte Kontrolle. Als Fluchtbilder entwerfen sie Strategien der Rückeroberung; sie eröffnen taktische Möglichkeiten, die Welt zu „entfatalisieren“ (Pierre Bourdieu) und die herrschende Bilderordnung zu unterwandern. (13. bis 26. Mai / Symposium: 14. bis 16. Mai)
 
Das Projekt „Infame Bilder“, ausgearbeitet und kuratiert von Ramón Reichert, findet mit Unterstützung der Wiener Festwochen statt. Das Symposium wurde in Kooperation mit SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien organisiert.