Professione: Reporter / The Passenger, 1975, Michelangelo Antonioni (Kadervergrößerung ÖFM)

Drifter
Road | Movie: 1974 bis 2007

1. September bis 5. Oktober 2011
 

Zum Auftakt der Herbstsaison präsentiert das Filmmuseum den zweiten Teil eines umfassenden Projekts über Road movies. Die erste Hochblüte dieser weitverzweigten und popkulturell einflussreichen Strömung ereignete sich im US-Kino der 60er und frühen 70er Jahre – und wurde letzten September unter dem Titel Autokino ­dargestellt. Drifter fokussiert nun stärker auf die ­europäischen „Erben“ der New-Hollywood-Generation – auf ein ­nomadisierendes Kino der Streuner und Ausreißer, der romantischen oder existentiell motivierten Flucht- und Reisebewegungen.
 
In den 70er und 80er Jahren wurden diese Werke bei der Filmkritik und beim jüngeren Kinopublikum zum Zentrum des Begehrens. Sie vertraten ein ganzes Lebensgefühl, mit einer Losung, die weit über die Filmkultur hinauswirkte: Fahren, Fahren, Fahren ... Zugleich repräsentieren sie das letzte Leuchtfeuer der Autorenfilm-Moderne im europäischen Nachkriegskino und im unabhängigen US-Film – am aufregendsten vielleicht in Michelangelo Antonionis Identitäts-Rätsel Professione: reporter. Exemplarisch für die filmische Lust am Treiben, die sehr oft vom amerikanischen Kino angestachelt war, steht der Name Wim Wenders, mit dessen Alice in den Städten die Reihe historisch einsetzt: Sein romantisches Verhältnis zum Driften durch weite Landschaften, vollends ausgelebt im deutschen Epos Im Lauf der Zeit, führte ihn konsequenterweise zurück in die USA – nach Paris, Texas, zu jenem Film, der 1984 mit Stranger Than Paradise von Jim Jarmusch einen der populärsten Knotenpunkte in der Geschichte der Road movies bildete.
 
Wenders produzierte auch Chris Petits britisches Road movie Radio On, das viele Schlüsselelemente des damaligen Aufbruchs enthält: die desillusionierte Beschreibung der Umwelt, den Wandel traditioneller Arbeits- und Familienverhältnisse, die Suche nach neuen Erzählweisen und die Rolle der Musik in Verbindung mit dem filmischen Fahren – der Vorspann von Radio On nennt die Songs gleichberechtigt neben den Schauspielern. Die Band Pere Ubu brachte es in „Dark“, der Apotheose aller Autofahrersongs auf den Punkt: And I drive into the wilderness / and I drive to fill a sense of purpose / And I drive to find a perfect world / And the radio will set you free.
 
Dieses „Freigesetztsein“ ist naturgemäß zweischneidig. Am Beginn der Thatcher-Kohl-Reagan-Ära stellen die Drifter der Road movies häufig Prototypen einer postfordistischen Lebensweise dar: Die ­Industrie, die Jobs, bestimmte soziale Ordnungen und Stadtbilder brechen weg und fordern Neuorientierung – z. B. in Alain Cavaliers lässigem Überland-Ausflug Le Plein de super, Adolf Winkelmanns regional präzise verankerter Komödie Die Abfahrer oder Christian Schochers monumentaler Odyssee Reisender Krieger. Letzterer ist neben Alain Tanners Messidor auch ein Zentralgestirn der um 1980 florierenden Road movies à la Suisse; Schochers Komplize Clemens Klopfenstein lieferte ein drittes: seine hypnotische Landschaftsdurchquerung Transes zählt zu jenen formal gewagten und erzählerisch befreiten „Road movie-Essays“, die sich auch im Werk von Marguerite Duras, Chantal Akerman, James Benning, Hartmut ­Bitomsky und Robert Kramer finden – oftmals in Form von kritischen Reisen durch die USA.
 
Parallel dazu ziehen einsame Drifter ihre Spuren durch das Genrekino: in Walter Hills glasklarem Actionthriller The Driver, George ­Millers postapokalyptischem Road Warrior oder Kathryn Bigelows Vampir-Western Near Dark. Als einflussreicher fürs Weltkino erwiesen sich freilich die Werke von Jim Jarmusch und seines Seelenbruders Aki Kaurismäki. Ihre sehr persönlichen Handschriften brachten Erfolg im „Arthouse“-Sektor – und zahllose ziellose Imitatoren: das Road movie als Feelgood-Allerweltskino der Gegenwart. Als Wendepunkt könnte man auch jenes grandiose Filmdoppel betrachten, das Gus Van Sant um 1990 vorstellte: Drugstore Cowboy und My Own Private Idaho blicken zurück auf die 70er Jahre, nehmen mit ihrem magischen Realismus aber auch die Post-Road-movies vorweg. Deren Ära ist in der Schau durch einige Ausnahmefilme mit historischem Bewusstsein vertreten, von Christian Petzolds Pilotinnen und David Cronenbergs Crash über Vincent Gallos Ballade The Brown Bunny bis zu Sean Penns herzzerreißend endgültiger Aussteiger-Saga Into the Wild: Wanderlust bis in den Tod.
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