Il gattopardo (Der Leopard), 1963, Luchino Visconti
Death in Venice / Morte a Venezia, 1971, Luchino Visconti
Rocco e i suoi fratelli (Rocco und seine Brüder), 1960, Luchino Visconti
L'innocente (Die Unschuld), 1976, Luchino Visconti
La terra trema (Die Erde bebt), 1948, Luchino Visconti
Ossessione, 1943, Luchino Visconti

Luchino Visconti

7. Jänner bis 25. Februar 2026

Mit Luchino Visconti (1906–1976) würdigen wir zum wiederholten Male einen der größten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Vor genau 60 Jahren fand anlässlich eines Gastspiels von Visconti in Wien eine Filmmuseums-Retrospektive statt, zuletzt zeigten wir sein Werk 2005. Nach über 20 Jahren wollen wir wieder an einen der einflussreichsten Filmkünstler erinnern, dessen unverwechselbarer Stil bis heute Spuren im Weltkino zieht und dessen Meisterwerke in vieler Hinsicht unerreicht geblieben sind: Gegen Viscontis Verfilmung von Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman Il gattopardo (1963) nimmt sich die rezente Netflix-Serie armselig aus.
 
Doch Visconti reüssierte nicht nur im Film, wo er sich als einer der Mitbegründer des Neorealismus schon in den 1940ern als herausragende Figur etablierte. Fast zeitgleich revolutionierte er das italienische Theater und entwickelte dann im stetigen Wechsel zwischen Kino, Bühne und Oper eine singuläre Ästhetik, in der sich diese Ausdrucksformen verbinden. Obwohl Filme wie La terra trema (1948), Senso (1954) oder Il gattopardo die Geschichte des Kinos entscheidend prägten und Visconti schon zu Lebzeiten als Klassiker galt, blieb er stets kontrovers. Sein Werk und seine Person sind vom Paradoxen durchzogen. Visconti, Aristokrat, Homosexueller und Marxist, war von der untergegangenen Kultur des Fin de siècle, in deren Geist er erzogen wurde, ebenso fasziniert wie von den (Klassen-)Kämpfen seiner Zeit. Er formte das Kino als Kunst des 20. Jahrhunderts aus dem epischen Atem, der die Literatur und die Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts prägte.
 
Immer wieder wendete sich Visconti der Weltliteratur zu (von Lampedusa zu Albert Camus und Thomas Mann), aber selbst wo er historische Stoffe inszenierte, verlor er die Gegenwart nie aus den Augen. Viscontis Kino liefert ein Porträt jener Kräfte, die das politische und ästhetische Empfinden des 20. Jahrhunderts bestimmten. Mit atemberaubender Dekorversessenheit, die ein Höchstmaß an realistischem Detail und kunstvoller Stilisierung anstrebt, rekonstruiert er eine "verlorene Zeit", deren Untergang unausweichlich erscheint – die aber stets auch die Möglichkeit eines anderen Geschichtsverlaufs evoziert. Dabei schuf er auch eine eigene Poetik der Zeit: genuine "Zeit-Bilder", die ihn als großen Dialektiker ausweisen.
 
Viscontis Jugend war vom aristokratischen Lebenswandel geprägt. Als Sohn einer Mailänder Adelsdynastie erhielt er eine umfassende Bildung und führte ein finanziell unabhängiges Dasein. In den 1930ern erwachte sein Interesse für Theater und Kino, entscheidend wirkte die Begegnung mit Jean Renoir, für den er als Regieassistent tätig war. Viscontis politisches Engagement wurde geweckt, er arbeitete mit an der Filmzeitschrift Cinema, wo sich in den ersten Kriegsjahren jene oppositionellen Kräfte sammelten, die bald den neoverismo begründen würden. Viscontis Debüt, das naturalistische Krimimelodram Ossessione (1943) wurde zwar wegen seiner sozialkritischen Tendenz prompt verboten, wirkte aber wie ein neorealistisches Manifest: Kino über den Konflikt zwischen "lebendigen Menschen und den Dingen, in denen sich gesellschaftliche Zwänge spiegeln".
 
Nach dem Krieg wurde Visconti zum Erneuerer des italienischen Theaters und inszenierte Opern, darunter einige der wichtigsten Callas-Aufführungen, beides trat in Wechselwirkung mit seinem Filmschaffen. Politisch bekannte er sich zu Gramscis Marxismus der Krise. La terra trema, seine Erzählung vom Untergang einer sizilianischen Fischerfamilie angesichts des hereinbrechenden Kapitalismus, verband Realismus mit opernhaften Zügen. Im Historienfilm Senso meisterte Visconti schließlich seine Idee des Gesamtkunstwerks: eine Verbindung von filmischer Opulenz, theatralischer Choreografie und einer zutiefst zeitgenössischen Konstruktion von Geschichte.
 
Ein möglicher Kulminationspunkt seiner Kunst ist die unvergleichliche, 40-minütige Ballsequenz am Ende von Il gattopardo, die wie ein Bewusstseinsstrom des Protagonisten gestaltet ist: Der alte Fürst realisiert während des Garibaldi-Befreiungskriegs, dass seine Welt zum Untergang bestimmt ist. Dieses Motiv prägt auch Viscontis Spätwerk: In seiner "Deutschen Trilogie" (1969–73) beschäftigte er sich mit dem Umschlagen der aristokratisch-bürgerlichen Kultur hin zu Todeskult und Barbarei während der Nazizeit (The Damned), ihrem anämischen Vergehen in der ästhetischen Sublimierung (Death in Venice) und der totalen Weltflucht (Ludwig – Viscontis monumentalstes und persönlichstes Werk).
 
Die extreme Stilisierung im Spätwerk brachte Visconti den Vorwurf der Dekadenz und der Weltfremdheit ein. Seine letzten beiden Meisterwerke, die er schwerkrank, vom Rollstuhl aus inszenierte, wirken wie eine Antwort darauf: Gruppo di famiglia in un interno (1974) handelt von der Unmöglichkeit des Rückzugs in den Elfenbeinturm, und L'innocente (1976) ist eine endgültige, rücksichtslose Abrechnung mit jener Geisteshaltung der Jahrhundertwende, aus der die Monstren des 20. Jahrhunderts hervorgingen. (Christoph Huber)
  
Wir zeigen alle Langfilme Luchino Viscontis sowie erstmals seinen raren Kurzfilm Appunti su un fatto di cronaca. Nur einige seiner Beiträge zu Episodenfilmen sind derzeit leider nicht verfügbar.

Einführungen von Christoph Huber bei ausgewählten Terminen. 


In Kooperation mit dem Italienischen Kulturinstitut – Istituto Italiano di Cultura di Vienna