WR: Mysterien des Organismus, 1971, Dusan Makavejev

Dušan Makavejev

8. April bis 4. Mai 2011
 
Dušan Makavejev, 1932 in Belgrad geboren, wird seit einigen Jahren langsam wiederentdeckt. Dabei war er nie ganz vergessen: Sein Wilhelm-Reich-Epos WR: Mysterien des Organismus (1971) gilt seit der Uraufführung als ein Axiom des modernen Kinos und ist durchgängig präsent geblieben. Der ganze Reichtum seines über vier Dekaden ausgreifenden Schaffens ist aber selbst dem cinephilen Publikum kaum mehr bekannt. In Anwesenheit des Regisseurs präsentiert die Retrospektive erstmals in Österreich das gesamte erhaltene Œuvre, darun­ter auch einige neue Kopien, die das Filmmuseum zu diesem Anlass hergestellt hat.
 
WR war die Wasserscheide in Dušan Makavejevs Karriere: der ständige Konflikt, den er und seine Kollegen mit der Obrigkeit austrugen, eskalierte Anfang der 70er Jahre zur ausgewachsenen Konfrontation; die „Schwarze Welle“ des jugoslawischen Kinos, die Makavejev einige ihrer zentrale Werke verdankt, wurde zerschmettert. Er selbst sah nach Androhung einer Gefängnisstrafe ­keine andere Chance, als das Land zu verlassen – er sagte später, man habe ihn zu „Zwangsarbeit im Ausland“ verurteilt. Mit Sweet Movie (1974) gelang ihm noch einmal ein internationaler succès de scandale, doch seine süffisant-subtileren Werke der 80er Jahre, realisiert in Schweden (Montenegro), Australien (The Coca-Cola Kid) und den USA (Manifesto), fanden nicht mehr die Beachtung seiner Anfänge.
 
Darin zeigt sich vielleicht, dass Makavejev im Westen immer nur als systemkritischer Geist aus einem staatskommunistischen Land wahrgenommen wurde, obwohl sein analytisches Genie und ätzend-anarchischer Humor viel weiter und tiefer gehen. Ob in Ljubavni slučaj (Ein Liebesfall, 1967) oder Montenegro, ob in Nevinost bez zaštite (Unschuld ohne Schutz, 1968) oder The Coca-Cola Kid, ob in WR oder Manifesto: stets werden Genres, Bilder- und Formenwelten satirisch geknackt – nur merkt man das beim „offiziellen“ ideologischen Widerpart eher, als wenn „man selbst“ (also der Westen) zur Zielscheibe von Hohn und Spott wird. Makavejev hatte – nur allzu berechtigt – vor nichts und niemandem Respekt.
 
Mit dem Filmemachen begann er wie fast alle Großen des jugo­slawischen Kinos: Man machte Amateurfilme bei einem der lokalen Kinoklubs, bewies sich in der Folge mit professionell realisierten Kurzfilmen und durfte schließlich, irgendwann, auch bei Langfilmen Regie führen. Den eigentlichen Anfang seines Schaffens datiert Makavejev auf 1955: Pečat war eine Satire auf das (Un-)Wesen der Bürokratie – ein Toter erinnert sich an all die bedeutsamen Stempel seines irdischen Daseins. In diesem Tonfall machte er munter weiter: Spomenicima ne treba verovati (Trau den Monumenten nicht! 1958), Pedagoška bajka (Erzieherisches Märchen, 1961) und Parada (1962) lassen sich verschmitzt oder auch grimmig über die zeitgenössischen Gepflogenheiten Jugoslawiens aus, während Prokleti praznik (Verdammter Feiertag) und Slikovnica pčelara (Des Imkers Sammelalbum, beide 1958) schon in der traditionellen Volkskultur allerhand Eigenartiges aufstöbern. Diese glänzenden Kurzfilme ­zeigen Makavejevs singuläre Begabung: Er macht im Gewöhnlichen das Verstörende, im (Soz-)Realistischen das Surrealistische sichtbar.
 
Als er 1965 mit Čovek nije tica (Der Mensch ist kein Vogel) ­seinen ersten Spielfilm realisierte, war Makavejev bereits eine ­bekannte Größe, die nun zum internationalen Star des modernen Kinos heranwuchs. Der ebenso lebendige und energische Nachfolger Ein Liebesfall und die radikale Neulektüre historisch-politischer Materialien in Unschuld ohne Schutz und WR: Mysterien des Orga­nismus etablierten ihn fix auf der Weltkinokarte: Waghalsiger, durchdringender und verstiegener arbeitete damals niemand mit den Mitteln der Montage. Obskures Genrekino lokaler Bauart ­kollidiert mit frischem Dokumentarstoff, die Sozialistische Klassik wird behandelt wie ein Comic Strip, und die Brecht’sche Idee des Modellhaften mutiert zu demonstrativem Trash. So auf- und ­an­regend, so sexy, steil und hintersinnig war Kino nur selten.
 
Dušan Makavejev wird gemeinsam mit seiner Arbeits- und Lebenspartnerin Bojana Marijan im Filmmuseum zu Gast sein und Auskunft über sein Schaffen geben. Die Retrospektive ist ein Projekt der Slovenska kinoteka (Ljubljana) und des Österreichischen Filmmuseums, das zu diesem Anlass einige Kurzfilme Makavejevs restauriert hat. Mit Dank an Jurij Meden, KulturKontakt Austria und Synchro Film.
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