Himmel oder Hölle, 1990, Wolfgang Murnberger

Ein anderes Land
Fünf österreichische Filmgeschichten

11. bis 18. Dezember 2014
 

Anlässlich seines 50-Jahr-Jubiläums hat das Filmmuseum gemeinsam mit der Diagonale eine besondere Schau entwickelt, die nun, nach dem Festival in Graz, auch im „Unsichtbaren Kino“ selbst zu sehen ist. Die drei Worte im Namen der jubilierenden Institution werden dabei buchstäblich zum Programm – und zu einer Serie offener Fragen: Österreich? Film? Museum?
 

Die Antworten sind einfach und kompliziert. Erstens: Der einzige Pool, in dem hier nach Filmen gefischt wurde, ist jener des Museums selbst – eine Sammlung kinematografischer Zeugnisse, die 50 Jahre lang nach bestimmten Kriterien, aber auch dank vieler unvorhersehbarer Akquisitionen aufgebaut wurde. Zweitens sind es logischerweise Filme, die hier gesammelt wurden; aber welche grundsätzliche Vorstellung vom Medium Film drückt die „Kollektion Filmmuseum“ am ehesten aus? Und was könnte, drittens, die Idee von Österreich sein, die sich dabei herausfiltern lässt – aus einer Sammlung, die seit 1964 ganz dezidiert nicht-nationalen Überlegungen folgt?

 
Ist das, was der Dreifachfilter „Österreich, Film, Museum“ auf der Kinoleinwand abwirft, also etwas ganz Fremdartiges – oder ist es genauso zwielichtig, glanzvoll, verkommen und endlos berückend wie das Land, in dem wir leben? Wie die Ausdrucksform Film, der wir unsere Arbeit widmen? Wie jenes zwischen Ideologie und Kritik pendelnde Bildungsinstrument, das sich Museum nennt?

 
In den fünf Programmen dieser Schau geht es ums Kino – und wie es sich selber begreift. Es geht um Nazis (sowie andere Antisemiten) – und um diejenigen, die mittels Film Möglichkeiten geschaffen haben, der Folklorisierung des NS-Staats zu widerstehen. Es geht um Unser Wien, 1957–67: eine konkrete Situation der Nachkriegsentwicklung, in der eine Nachfrage nach dem „Modernen“ entsteht, wie auch immer es sich anfühlen mag. Es geht um den Klang der Sprache des Films, also darum, wie das Weben von Sounds, Schriftzeichen und Einstellungen einen ureigenen Darbietungsmodus und zugleich einen unverwechselbaren Locus beschwört („das Österreichische“ im Licht des „Filmischen“). Und es geht um Skepsis gegenüber jener Idee von Nation oder nationaler Kinematografie, die ständig Ursprungszeugnisse fordert: In Transit, also jenseits der Staatsgrenzen oder im Blick von Fremden auf dieses Land, kann „das Österreichische“ seiner Versulzung entgehen.

 
Durch die Beschränkung auf 5 kleine Filmgeschichten verbietet sich das Repräsentative (samt seiner Fallen) fast schon von selbst. Weder Österreich noch das Museum und seine Sammlung sind hier „in all ihren Facetten“ oder „ausgewogen“ dargestellt. Am ehesten noch der Film: Bei 5 Programmen kommen nämlich die wirtschaftlich marginalisierten Gattungen gegenüber dem dominanten Spielfilmformat am ehesten zur Geltung. Es sind insgesamt 33 Beispiele aus den Jahren 1896 bis 2014, darunter 1 „richtiger“ Spielfilm (Wolfgang Murnbergers Himmel oder Hölle), 1 „richtiger“ Dokumentarfilm (Michael Pilz’ Franz Grimus) und 1 halb-abendfüllendes Hybrid (Unser Wien). Ansonsten: Filmessay, Filmlyrik, Werbefilm, Künstlerfilm, Spielfilmfragment, frühes Kino der Attraktionen, Amateurfilm, anthropologisches Dokument, Trailer, Filmbeitrag fürs Fernsehen, Aktualität und Wochenschau.

 
Der Verdacht ist durchaus nachvollziehbar: Da sind doch sicherlich jede Menge öde Filme dabei, die etwas belegen oder eine These illustrieren sollen?! Die sind doch da nicht alle drin, weil sie für sich genommen toll sind?!

 
Doch. Das ist der Vorschlag. 33 tolle Filme, von denen viele ihre Tollheit ihren Autor/inn/en und Mitwirkenden, ihrer bewusst gewählten bzw. im Material gefundenen Form, ihren Ideen und deren Durchführung verdanken. Für manche aber gilt das nicht; sie verdanken sich vielmehr der eigentümlichen Kraft des Films, auch jenseits solcher Kategorien großartig zu sein. Die Tollheit der letzteren, teilweise anonymen Beispiele kommt anderswoher. Aus einer Begegnung zwischen Welt und Maschine, bei der das Verrückte, Schöne oder Entsetzliche der historischen Realität ganz klar und blitzlichthaft erscheint: blank gescheuert durch die – oft ungewollte, unbeholfene, scheinbar gestaltlose, vom reinen Geschehen gebannte – Bedienung der Aufnahmeapparatur. Dies wiederum gilt natürlich auch für die Filme von Künstlerinnen und Künstlern. Dort schiebt sich in die Begegnung von Welt und Maschine eine zusätzliche Membran, und sie pulsiert nach einem jeweils eigenen Beat, nach den immer neu zu verhandelnden Gesetzen eines anderen Landes.

 
Die Schau wurde von Alejandro Bachmann, Sebastian Höglinger, Alexander Horwath, Barbara Pichler und Regina Schlagnitweit zusammengestellt und findet im Zusammenspiel mit der Lehrveranstaltung „Film Curatorship 1“ statt, die das Filmmuseum jedes Wintersemester am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien anbietet. Die Programme werden jeweils von den Kurator/inn/en eingeführt.