Un chien andalou (Ein andalusischer Hund), 1929, Luis Buñuel, Salvador Dalí

Films You Cannot See Elsewhere

Amos-Vogel-Atlas Kapitel 3: Die surreale Erfahrung

28. Mai bis 19. Juni 2021
 
Zum Filmmuseum-Jubiläumsjahr anlässlich des 100. Geburtstags von Amos Vogel wird natürlich auch der Amos-Vogel-Atlas weitergeführt und durchmisst erneut die erstaunliche Vielfalt der Formen, die Vogel in seiner Vorstellung von Kino zusammenbrachte – von der Avantgarde zur Animation, von Dokumenten aller Art zum eigensinnigen Spielfilm. Die ersten Stationen des Jubiläumsjahrs konzentrieren sich dabei auf zwei Schlüsselpositionen von Vogels bahnbrechendem Wirken als Kurator in der Nachkriegszeit mit seinem New Yorker Filmclub "Cinema 16". Zum Auftakt widmen sich im dritten Atlas-Kapitel zwei Programme Vogels Verhältnis zum Surrealismus – einer dezidiert umstürzlerischen Bewegung, die ihm zeitlebens wichtig blieb –, ausgehend von einem Klassiker, der zu den wenigen Filmen gehört, die Vogel in den Anfangsjahren von "Cinema 16" wiederholt zeigte, weil er ihnen besondere Bedeutung zumaß: Un chien andalou von Luis Buñuel und Salvador Dalí. (Das vierte Atlas-Kapitel besteht gleichermaßen aus zwei Programmen, die rund um einen Schlüsselfilm aus der Schlussphase von Vogels Filmclub konzipiert sind: Shadows von John Cassavates.)

Im Programm Traum und Schock wird die weitere Wirkmacht der surrealistischen Provokation von Un chien andalou quer durch die Filmgeschichte verfolgt – als direkter Anknüpfungspunkt fungiert die bizarre Traumsequenz, die sich Alfred Hitchcock von Dalí für einen seiner Spielfilme gestalten ließ. Verwandte Ideen und Stimmungen zeigen sich parallel dazu in ganz eigener Ausprägung bei führenden Avantgardisten wie Joseph Cornell oder Sidney Peterson (für Vogel gerade in den Anfangsjahren von "Cinema 16" eine Zentralfigur), deren Filme erstmals in wunderschönen Sammlungskopien zugänglich gemacht werden. Den satirischen Schlussstrich unter diese Linie surrealistischer Provokation zieht der Sprung von den absurden Pointen des Sixties-Klassikers Robert Nelson zum kontemporären Animationsfilmer David O'Reilly, dessen digitale Verfremdungseffekte das abgründige Weltbild der Surrealisten in eine zunehmend virtuelle Gegenwart holen.

Surrealismus und Dadaismus mit ihrer Intention, "einer korrupten Gesellschaft und ihren verfaulten Werten den Krieg zu erklären", blieben wesentliche Faktoren für Vogels Konzept des subversiven Kinos: Einen anderen essenziellen Bezugspunkt für Vogel stellte der ebenfalls nach New York emigrierte deutsche Dadaist Hans Richter dar, nicht zuletzt mit seinem herausragenden Episodenfilm Dreams That Money Can Buy, der die Visionen befreundeter Künstler bündelte. Er steht im Zentrum des Programms Traum und Kunst, in dem eine andere Spielart der surrealen Erfahrung und ihrer halluzinatorischen Qualitäten erforscht wird: Transgressive Visionen dienen hier weniger der Verstörung, sondern sollen als bewusste artistische Intervention und Innovation wirken. Aber alle diese Werke demonstrieren ebenso deutlich ein Grundanliegen Vogels: Es geht um die Kraft des Kinos, bewusstseinsverändernd zu wirken. (Christoph Huber)

Der gebürtige Wiener Jude Amos Vogel (1921–2012) wurde nach der Emigration in die USA eine der wichtigsten Figuren der internationalen Filmkultur. Die Reihe Amos-Vogel-Atlas widmet sich der Weiterführung seines widerständigen Erbes parallel zur Beforschung seines Nachlasses im Filmmuseum mit Schwerpunkt auf Raritäten aus der Sammlung.
Zusätzliche Materialien