Alexander Kluge
22. Jänner bis 19. Februar 2026
"Man möchte gerne, dass die Filmgeschichte weitergeht, dass sie sich häutet und noch einmal frisch anfängt."
Alexander Kluge
Seit 1960 arbeitet Alexander Kluge als Filmemacher. Sein Filmwerk steht zugleich in engem Zusammenhang mit den Erzählungen in seinen Büchern und den theoretischen Arbeiten, die ihn mit dem Philosophen und Soziologen Oskar Negt und mit der Frankfurter Kritischen Theorie (Theodor W. Adorno, Walter Benjamin) verbinden. Neuerdings finden sich in seinen Büchern im Suhrkamp Verlag oder bei Spector Books QR-Codes mit Filmen. Umgekehrt finden sich in seinen filmischen Arbeiten oft Texttafeln, wie im Stummfilm. Der "Erfahrungsbegriff" und die Formen der "Dramaturgie der Kürze" und die "Dramaturgien des Zusammenhangs", also der Länge, beziehen sich auf alle drei Arbeitsgebiete.
Als Mitverfasser des Oberhausener Manifests von 1962 zählt Kluge zu den Begründern des Neuen Deutschen Films. Bereits in seinen frühen Arbeiten, wie Abschied von gestern (1966) oder Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968), formuliert sich eine Ästhetik, die sich der Konvention widersetzt. Mit Edgar Reitz und anderen Filmemachern begründet er das Institut für Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, einer Nachfolgerin des Bauhauses.
Ab 1988 verlagert Kluge seine filmische Arbeit ins Fernsehen, in unabhängiger Lizenz in einem Fensterprogramm bei den großen Privatsendern. Seine Gesprächspartner*innen – von Helge Schneider über Lilith Stangenberg und Hannelore Hoger bis zu Hans Magnus Enzensberger, Joseph Vogl und Ulrike Sprenger – werden zu den Mitautoren des Films. Das gilt auch für zahlreiche Wissenschaftler*innen, Erfahrungsträger*innen und Charakterdarsteller*innen.
Aus dem "langen Marsch ins digitale Zeitalter" erleben wir heute eine rasante Beschleunigung. In seiner Filmwerkstatt, in der er seit mehr als 30 Jahren arbeitet, sucht Kluge Antworten auf diesen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Es entstehen Kooperationen und innovative Formen des Films, die sowohl auf die Modernität wie auch die Unheimlichkeit unserer "zerrissenen Zeit" antworten.
Zu den Publikationsformen Buch, Film/Kino und Kulturmagazin treten neuerdings Ausstellungen hinzu, beginnend mit "Gärten der Kooperation" in Barcelona im Jahr 2016. Die verwandte Ausstellung "Nachts träumen die Kulissen von ungesehenen Bildern" ist ab 6. Februar 2026 in Zusammenarbeit mit der Akademie der bildenden Künste im Wiener Semperdepot zu sehen, parallel zum Filmprogramm im Filmmuseum. Dieses legendäre Gebäude wurde als Depot der Kulissen des Burgtheaters vom Baumeister Gottfried Semper errichtet.
Die Filme im Programm, die aus der jüngsten Zeit stammen, sowie die Ausstellungen thematisieren Kluges virtuelle Kamera, die aus dem Bereich der KI stammt. Bei ihr geht es um den "Konjunktiv der Bilder". Die klassische Filmkamera kann nur aufzeichnen, was sich im Moment vor ihrer Linse befindet. Unsere Emotionen und unsere Lebenswelt hat aber auch mit Erfahrungen zu tun, die jenseits unserer jeweiligen Horizonte liegen, und vor allem mit dem Möglichkeitsraum (dem Konjunktiv), der jede Gegenwart begleitet.
Die Retrospektive zeigt sechs Programme aus der Zeit des Neuen Deutschen Films, die vor 1988 hergestellt wurden, und sieben Programme aus jüngster Zeit. Die Struktur der Ausstellungen hat auf die neuen Filme sichtbaren Einfluss. Sie beruht auf dem Prinzip der Konstellation, also des Zusammenhangs der Bilder. Das kann die Form von Filmsammlungen in Längen von bis zu zehn Stunden annehmen, wie in der Produktion Nachrichten aus der ideologischen Antike (2008), das Eisensteins nicht realisiertes Projekt einer Verfilmung des Kapital von Karl Marx mit Mitteln unserer Zeit aufgreift. Konstellation ist aber auch das Ineinandergreifen von Text, Bild, Musik und Wissenschaft (Mathematik). Das sind völlig verschiedene Bereiche, von denen aber jeder eine eigene Perspektive besitzt. Gemeinsam erlauben sie Vielfalt und diese ist im Grunde einfach. Der "Erzähler Wirklichkeit" teilt sich die ganze Zeit über in Konstellationen mit und wir Menschen in unserer Emotion, in unseren Öffentlichkeiten und in der denkerischen Orientierung antworten ebenfalls in ähnlicher Vielfalt. Der neueste abendfüllende Film von Alexander Kluge heißt deshalb auch Primitive Diversity (2025).
Dieses Prinzip und Kluges Arbeit überhaupt gehen zurück auf das Montagekino der 1920er Jahre. Er knüpft an Murnau, Fritz Lang, Eisenstein, Vertov, Hans Richter oder Dovzhenko an. Genauso stützt er sich auf Jean-Luc Godard oder französische Philosophen wie Deleuze, Guattari oder Derrida.
"Wenn man Patriot der Moderne und zugleich Patriot der Filmgeschichte sein will, bleibt einem nur übrig, an einem Gegenalgorithmus zu arbeiten." Die Wiederbelebung von in der Frühzeit der Filmgeschichte entwickelten Formen, bis hin zu den Formen des sogenannten Minutenfilms, steht dabei in direktem Kontext mit der Anwendung neuster digitaler Techniken. "Ob die KI menschliche Intelligenz je ersetzen wird", sagt Kluge, "weiß ich nicht. In jedem Fall ist sie ein getreuer Buchhalter von Milliarden Einzelheiten. So wie meine Arriflex-Kamera oft etwas aufgenommen hat, was ich bei den Dreharbeiten gar nicht gesehen habe, ist meine virtuelle Kamera (KI) ein wertvolles Werkzeug." Ein solches Tool ist nötig im Kampf für eine erfahrungsreiche, unabhängige Öffentlichkeit, die sich auch gegen Gefahren digitaler Übermacht zu wehren weiß.
Film bleibt für Alexander Kluge eine Form der Emotion und eines Denkens, das Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft. Seine Arbeit zielt nicht auf Illustration, sondern auf Erkenntnis. In dieser Haltung zeigt sich auch seine Nähe zu Walter Benjamin. Dabei hat Alexander Kluge das Kino nie verlassen. Aber die Formenwelt des Films ändert sich. Eine passende Metapher dafür ist der altgriechische Vogel Phönix. Er verbrennt und steigt aus der Asche mit frischer Lebendigkeit wieder auf. (Christian Stampfl)
In Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste Wien
Alexander Kluge: Nachts träumen die Kulissen von ungesehenen Bildern
Der Idee einer Theateraufführung folgend inszeniert Alexander Kluge eine Ausstellung, in der er Videostationen als Akteurinnen einsetzt und Gipsabgüsse aus der Glyptothek der Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste mit ihnen in Beziehung setzt.
6. bis 24. Februar 2026 / Eröffnung: 5. Februar, 18 Uhr
Prospekthof, Atelierhaus, Akademie der bildenden Künste Wien, Lehárgasse 8, 1060 Wien
Weitere Informationen zu Ausstellung und Begleitprogramm: www.akbild.ac.at
"Man möchte gerne, dass die Filmgeschichte weitergeht, dass sie sich häutet und noch einmal frisch anfängt."
Alexander Kluge
Seit 1960 arbeitet Alexander Kluge als Filmemacher. Sein Filmwerk steht zugleich in engem Zusammenhang mit den Erzählungen in seinen Büchern und den theoretischen Arbeiten, die ihn mit dem Philosophen und Soziologen Oskar Negt und mit der Frankfurter Kritischen Theorie (Theodor W. Adorno, Walter Benjamin) verbinden. Neuerdings finden sich in seinen Büchern im Suhrkamp Verlag oder bei Spector Books QR-Codes mit Filmen. Umgekehrt finden sich in seinen filmischen Arbeiten oft Texttafeln, wie im Stummfilm. Der "Erfahrungsbegriff" und die Formen der "Dramaturgie der Kürze" und die "Dramaturgien des Zusammenhangs", also der Länge, beziehen sich auf alle drei Arbeitsgebiete.
Als Mitverfasser des Oberhausener Manifests von 1962 zählt Kluge zu den Begründern des Neuen Deutschen Films. Bereits in seinen frühen Arbeiten, wie Abschied von gestern (1966) oder Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968), formuliert sich eine Ästhetik, die sich der Konvention widersetzt. Mit Edgar Reitz und anderen Filmemachern begründet er das Institut für Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, einer Nachfolgerin des Bauhauses.
Ab 1988 verlagert Kluge seine filmische Arbeit ins Fernsehen, in unabhängiger Lizenz in einem Fensterprogramm bei den großen Privatsendern. Seine Gesprächspartner*innen – von Helge Schneider über Lilith Stangenberg und Hannelore Hoger bis zu Hans Magnus Enzensberger, Joseph Vogl und Ulrike Sprenger – werden zu den Mitautoren des Films. Das gilt auch für zahlreiche Wissenschaftler*innen, Erfahrungsträger*innen und Charakterdarsteller*innen.
Aus dem "langen Marsch ins digitale Zeitalter" erleben wir heute eine rasante Beschleunigung. In seiner Filmwerkstatt, in der er seit mehr als 30 Jahren arbeitet, sucht Kluge Antworten auf diesen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Es entstehen Kooperationen und innovative Formen des Films, die sowohl auf die Modernität wie auch die Unheimlichkeit unserer "zerrissenen Zeit" antworten.
Zu den Publikationsformen Buch, Film/Kino und Kulturmagazin treten neuerdings Ausstellungen hinzu, beginnend mit "Gärten der Kooperation" in Barcelona im Jahr 2016. Die verwandte Ausstellung "Nachts träumen die Kulissen von ungesehenen Bildern" ist ab 6. Februar 2026 in Zusammenarbeit mit der Akademie der bildenden Künste im Wiener Semperdepot zu sehen, parallel zum Filmprogramm im Filmmuseum. Dieses legendäre Gebäude wurde als Depot der Kulissen des Burgtheaters vom Baumeister Gottfried Semper errichtet.
Die Filme im Programm, die aus der jüngsten Zeit stammen, sowie die Ausstellungen thematisieren Kluges virtuelle Kamera, die aus dem Bereich der KI stammt. Bei ihr geht es um den "Konjunktiv der Bilder". Die klassische Filmkamera kann nur aufzeichnen, was sich im Moment vor ihrer Linse befindet. Unsere Emotionen und unsere Lebenswelt hat aber auch mit Erfahrungen zu tun, die jenseits unserer jeweiligen Horizonte liegen, und vor allem mit dem Möglichkeitsraum (dem Konjunktiv), der jede Gegenwart begleitet.
Die Retrospektive zeigt sechs Programme aus der Zeit des Neuen Deutschen Films, die vor 1988 hergestellt wurden, und sieben Programme aus jüngster Zeit. Die Struktur der Ausstellungen hat auf die neuen Filme sichtbaren Einfluss. Sie beruht auf dem Prinzip der Konstellation, also des Zusammenhangs der Bilder. Das kann die Form von Filmsammlungen in Längen von bis zu zehn Stunden annehmen, wie in der Produktion Nachrichten aus der ideologischen Antike (2008), das Eisensteins nicht realisiertes Projekt einer Verfilmung des Kapital von Karl Marx mit Mitteln unserer Zeit aufgreift. Konstellation ist aber auch das Ineinandergreifen von Text, Bild, Musik und Wissenschaft (Mathematik). Das sind völlig verschiedene Bereiche, von denen aber jeder eine eigene Perspektive besitzt. Gemeinsam erlauben sie Vielfalt und diese ist im Grunde einfach. Der "Erzähler Wirklichkeit" teilt sich die ganze Zeit über in Konstellationen mit und wir Menschen in unserer Emotion, in unseren Öffentlichkeiten und in der denkerischen Orientierung antworten ebenfalls in ähnlicher Vielfalt. Der neueste abendfüllende Film von Alexander Kluge heißt deshalb auch Primitive Diversity (2025).
Dieses Prinzip und Kluges Arbeit überhaupt gehen zurück auf das Montagekino der 1920er Jahre. Er knüpft an Murnau, Fritz Lang, Eisenstein, Vertov, Hans Richter oder Dovzhenko an. Genauso stützt er sich auf Jean-Luc Godard oder französische Philosophen wie Deleuze, Guattari oder Derrida.
"Wenn man Patriot der Moderne und zugleich Patriot der Filmgeschichte sein will, bleibt einem nur übrig, an einem Gegenalgorithmus zu arbeiten." Die Wiederbelebung von in der Frühzeit der Filmgeschichte entwickelten Formen, bis hin zu den Formen des sogenannten Minutenfilms, steht dabei in direktem Kontext mit der Anwendung neuster digitaler Techniken. "Ob die KI menschliche Intelligenz je ersetzen wird", sagt Kluge, "weiß ich nicht. In jedem Fall ist sie ein getreuer Buchhalter von Milliarden Einzelheiten. So wie meine Arriflex-Kamera oft etwas aufgenommen hat, was ich bei den Dreharbeiten gar nicht gesehen habe, ist meine virtuelle Kamera (KI) ein wertvolles Werkzeug." Ein solches Tool ist nötig im Kampf für eine erfahrungsreiche, unabhängige Öffentlichkeit, die sich auch gegen Gefahren digitaler Übermacht zu wehren weiß.
Film bleibt für Alexander Kluge eine Form der Emotion und eines Denkens, das Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft. Seine Arbeit zielt nicht auf Illustration, sondern auf Erkenntnis. In dieser Haltung zeigt sich auch seine Nähe zu Walter Benjamin. Dabei hat Alexander Kluge das Kino nie verlassen. Aber die Formenwelt des Films ändert sich. Eine passende Metapher dafür ist der altgriechische Vogel Phönix. Er verbrennt und steigt aus der Asche mit frischer Lebendigkeit wieder auf. (Christian Stampfl)
Am 14. Februar 2026 findet ein Zoom-Gespräch zwischen Alexander Kluge, Claus Philipp und Johan Hartle statt.
Alexander Kluge: Nachts träumen die Kulissen von ungesehenen Bildern
Der Idee einer Theateraufführung folgend inszeniert Alexander Kluge eine Ausstellung, in der er Videostationen als Akteurinnen einsetzt und Gipsabgüsse aus der Glyptothek der Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste mit ihnen in Beziehung setzt.
6. bis 24. Februar 2026 / Eröffnung: 5. Februar, 18 Uhr
Prospekthof, Atelierhaus, Akademie der bildenden Künste Wien, Lehárgasse 8, 1060 Wien
Weitere Informationen zu Ausstellung und Begleitprogramm: www.akbild.ac.at