John Ford
16. Oktober bis 30. November 2014
Über sechs Dekaden und gut hundertvierzig Filme hinweg hat sich John Ford an dem Projekt abgearbeitet, die Vereinigten Staaten von Amerika zu erzählen – in einer zutiefst persönlichen wie populären Form. Dabei wurde er früh als einer der ganz Großen des Kinos anerkannt, sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung (1936 erhielt er für The Informer seinen ersten Regie-Oscar – ein Preis, den er als einziger viermal gewann) wie unter Cinephilen und Regiekollegen. Schon Orson Welles berief sich bei Citizen Kane darauf, alles übers Kino von Ford und dessen „klassisch perfektem“ Western Stagecoach gelernt zu haben, und für die movie brats des New-Hollywood-Kinos oder des Neuen Deutschen Films wurden spätere Ford-Western wie The Searchers zu absoluten Schlüsselfilmen. Bis heute ist er ein unumgänglicher Bezugspunkt für alle Regisseure mit filmhistorischem Bewusstsein geblieben.
Dabei lässt sich das Schaffen des selbsterklärten „director of westerns“ nicht über einzelne Filme oder Genres definieren: Wie kein anderer – ausgenommen vielleicht Ozu Yasujirō in Japan – hat Ford im Rahmen der kommerziellen Kinoproduktion das Wesen und den Wandel der Gesellschaft seiner Nation mit unerschöpflichem Detailreichtum erforscht. Seine große Geschichte ist die Zivilisation – und ihr Preis. Indem er von ganz konkreten Menschen und Situationen berichtete, malte er die Entstehung und Entwicklung einer Gemeinschaft und ihrer Institutionen aus, mit einem besonderen Sensorium für all ihre Widersprüche. Er besaß die Fähigkeit, „Doppelbilder“ zu entwerfen, wie es der Kritiker Andrew Sarris einmal beschrieb: In John Fords filmischem Blick können wir ein Ereignis sowohl in seiner lebendigen Unmittelbarkeit wie auch als „Erinnerungsbild am Horizont der Geschichte“ wahrnehmen.
John Ford war Romantiker und Dialektiker zugleich: Die Ideale und Rituale der USA schilderte er mit patriotischer Leidenschaft – und mit kritischem Bewusstsein, besonders was die notwendigen, aber schwierigen Kompromisse im Namen demokratischer Freiheit betrifft. Er sah zugleich die Utopie und ihren künftigen Zerfall, gemäß dem Leitmotiv glory in defeat. Sein „irischer“ Zug zur Rebellion, zum Anti-Autoritären und seine prinzipielle emotionale Identifikation mit „armen, einfachen Leuten“ – versinnbildlicht etwa in der großen Depressionssaga The Grapes of Wrath (1940), dem Kulminationspunkt von Fords linker Popular-Front-Phase der 1930er Jahre – kollidierten mit seinen konservativen Tendenzen, die er vor allem in seinen späteren Aussagen betonte. Im letzten und berühmtesten Drittel seines Schaffens zog er sich fast völlig auf historische Sujets zurück, ohne je die zeitgenössischen Entwicklungen oder seine grundlegende Skepsis aus den Augen zu verlieren. Seine inneren Konflikte – zwischen Dreharbeiten trank sich der streitbare Regisseur oft in die Bewusstlosigkeit (und ins Krankenhaus) – übersetzte Ford instinktiv in ein Werk, das immer wieder neue, oft gegensätzliche Perspektiven auf die Entwicklung der USA erschließt.
„When the legend becomes fact, print the legend“: Die berühmte Zeile aus dem Spätwerk The Man Who Shot Liberty Valance fasst noch einmal zusammen, wie Ford in Brecht‘scher Manier die Mythen der Nation gleichermaßen re- wie dekonstruierte. Sieht man den Western als US-Heimatfilm, wird augenfällig, warum Ford in diesem Genre ein kommerziell kompatibles Format fand, um darin ein Wegstück seiner historischen Expedition zu unternehmen: von seinen ersten Erfolgen mit Cowboy-Star Harry Carey in Filmen wie Bucking Broadway (ab 1917), über das Eisenbahn-Epos The Iron Horse, mit dem er sich 1924 im Großproduktionsformat bewährte, bis zu Meisterwerken der Nachkriegsära wie der Wyatt-Earp-Legende My Darling Clementine, der komplexen Kavallerie-Trilogie (Fort Apache, She Wore a Yellow Ribbon, Rio Grande) oder dem volksliedhaften Wagon Master, einem zentralen Beweisstück für Fords Selbstverständnis als folk artist. Die in vielen Tonlagen erklingende Rede dieses populären Erzählers bzw. Dichters paarte sich mit entsprechendem Gespür für visuelle Komposition: Dank seiner Bildsprache wurde Monument Valley – als „John Ford Country“ – zum Inbegriff der Westernlandschaft.
Aber das ist nur ein Schauplatz, nur ein Aspekt, nur eine Epoche in der reichen Geschichte von John Fords Kino-Land (besonders gern spiegelte er seine Anliegen ins irische Ahnenreich). Die Variationsbreite seiner Sujets und Motive ist größer als gemeinhin behauptet wird, und sie findet ihre Entsprechung in den Darstellungsformen, die sich nicht selten jenseits des „klassischen Ford-Stils“ bewegen: von expressionistischen, an Murnau geschulten Experimenten bis zur Nüchternheit seiner unvergleichlichen Kriegserfahrungsberichte wie dem Dokument The Battle of Midway oder dem Spielfilm They Were Expendable. Der innere Zusammenhalt, die Dichte dieses Werks wird wiederum verstärkt von den vielen wiederkehrenden Gesichtern: Fords sorgfältig aufgebauter Freundeskreis von Darstellern, seine stock company, bildete für ihn eine Gemeinschaft, wie er sie in seinen Filmen beschwor – eine Kontinuität quer durch die unterschiedlichsten Perioden, Genres und Stile.
Die Auswahl der Retrospektive präsentiert rund 50 Werke aus allen Phasen von John Fords Laufbahn: Bilder einer Nation, in denen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überlagern. Als Regisseur, bei dem Zivilisation und Demokratie nicht gegeben sind, sondern immer neu auf dem Spiel stehen, ist Ford so zeitlos wie aktuell.
Ein gemeinsames Projekt des Filmmuseums und der Viennale. Dokumentiert wird die Schau durch ein Katalogbuch, das neben neuen Essays auch Selbstaussagen Fords sowie Aufsätze zu allen gezeigten Filmen enthält.