The Great Dictator, 1940, Charles Chaplin © Roy Export S.A.S

Wer zuletzt lacht ...
Komödien gegen die Krise

19. Mai bis 15. August 2021

"Humor is just another defense against the universe." Mel Brooks
 
Die Auswirkungen der gegenwärtigen Pandemie schlagen sich in vielen Bereichen nieder, darunter auch im Kinowesen. Dabei wird medial der Situation der Cinémathèquen und Filmarchive wenig Beachtung geschenkt. Monate nach dem ersten Lockdown haben viele von ihnen, darunter einige unserer wichtigsten Partnerinstitutionen, den Verleihbetrieb nicht wieder aufgenommen oder ihn in einem Maße eingeschränkt, der die "normale" Konzeption von Retrospektiven unmöglich macht.
 
So hat eines der größten US-Archive seine monatliche Verleihquote auf nur fünf (!) Filme reduziert. Und in unserem Sammlungsdepot lagern immer noch Filmkopien, die wir im Februar 2020 von befreundeten Institutionen ausgeborgt hatten. Denn viele Archive sind seit dem ersten Lockdown geschlossen geblieben oder immer noch in Kurzarbeit. Zuletzt sind auch die Kurierdienste angesichts permanenter Änderungen im Grenzverkehr überfordert: Seit März 2020 häufen sich die Fälle, bei denen Filmkopien im Transfer verlorengegangen sind.
 
Doch selbst wenn es klappen sollte: Was nützt der Import einer raren und unter Umständen teuren Filmkopie, wenn sie dann nur eine Handvoll Menschen sehen kann – oder die Vorführung gar nicht stattfinden kann? Immer mehr Kinos weltweit befinden sich in einem Dilemma ohne Ausweg: Ohne neue "Ware" und ohne Zugriff auf die analoge Filmgeschichte sind sie auf jene digitalen Filme angewiesen, die sich auch auf Netflix & Co. finden.
 
Wir als Museum sind da besser dran. Seit 1964 betreuen wir eine ständig erweiterte Schau- und Lehrsammlung von Weltrang: Filme aller Gattungen, Schlüsselwerke einer Kunstgeschichte des Films, von kanonischen Klassikern des Autoren- und Genrekinos bis zum Independent- und Avantgardefilm und den Vor- und Nachlässen bedeutender zeitgenössischer Künstler*innen.
 
Unsere Filmsammlung bildet auch die Basis unserer Retrospektive "Wer zuletzt lacht... Komödien gegen die Krise". Darin widmen wir uns anlassbezogen dem Moment der "Krise". Oder besser gesagt, der wirksamsten Waffe, mittels derer die Menschheit noch die schlimmsten Situationen gemeistert hat: nämlich dem Lachen.
 
"Das Leben ist eine Tragödie in der Nahaufnahme – aber eine Komödie in der Totalen", lautet ein Zitat von Charlie Chaplin. Seine Anti-Nazi-Satire The Great Dictator ist das vielleicht berühmteste Beispiel dafür, wie die Komödie Widerstand gegen eine dräuende globale Katastrophe leisten kann. Wir zeigen Chaplins Film in einer 35mm-Kopie, die zugleich der jüngste Neuzugang in unserer Sammlung ist.
 
Die humoristische Konfrontation mit krisenhaften Szenarien zieht sich als roter Faden durch die Schau: vom schwarzhumorigen Spiel mit der atomaren Angst in Stanley Kubricks Klassiker Dr. Strangelove und der virtuosen Horrorkomödie Hausu des kürzlich verstorbenen japanischen Pop-Art-Genies Ōbayashi Nobuhiko über den grunzenden und gröhlenden Anarchismus Michel Piccolis in Claude Faraldos Themroc bis zu den kunstvollen Arrangements bei Luis Buñuel, dessen explosiver Abschiedsfilm Cet obscur objet du désir Surrealismus und Terrorismus zusammenbringt, oder Roy Andersson und seinen malerischen Endzeit-Tableaus in Sånger från andra våningen.
 
Ein (leider ebenso zeitgemäßer) Schwerpunkt gilt dabei der "American Madness". Von der anarchisch-destruktiven Kriegsmobilisierung der Gebrüder Marx im Meisterwerk Duck Soup führt die Reise durch die große Depression (Preston Sturges' Sullivan's Travels und O Brother, Where Art Thou? der Coen-Brüder) hin zu rezenteren Comedy-Großtaten, die den Untergang eines Imperiums quasi vorwegnehmen: Joe Dantes Bild einer gespaltenen Nation in The Second Civil War sowie die politisch unkorrekten Rundumschläge South Park: Bigger, Longer and Uncut und Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan.
 
Aber Komödie hat nicht nur subversive und aufklärerische Kraft: Sie ist auch der tröstliche Ort von Hoffnung, eine Utopie. Eine ganze Reihe von Filmen widmet sich der Gemeinschaft als Gegenmittel zu Vereinsamung und Isolation: in Form einer Hausgemeinschaft im sowjetischen Zinshaus (Boris Barnets beschwingter Stummfilm Dom na Trubnoj) oder rund um die Grätzel-Videothek (in Michel Gondrys VHS-Hommage Be Kind Rewind).
 
Gemeinschaft entsteht auch durch so einfache Dinge wie Essen (zentrales Thema im Kultfilm Tampopo, aber auch eine Triebfeder der unwiderstehlichen Knetmasse-Animation von Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit) und natürlich über die Erwerbsarbeit. Vom Kampf um die Arbeit und von der Absurdität der zeitgenössischen "Bullshit-Ökonomie" erzählen unter anderem die Filme mit dem US-Comedy-Giganten W.C. Fields (It's a Gift), des französischen Eigenbrötlers Luc Moullet (La Comédie du travail), und des deutschen Dada-Tausendsassas Helge Schneider (Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm).
 
Nicht zuletzt bannt Humor auch den Schrecken. Anlass für uns, dem Grenzbereich zwischen Gruseln und Lachen Aufmerksamkeit zu schenken: vom durchaus kinderkompatiblen Comedy-Schaudern mit Wallace & Gromit oder Tim Burton's The Nightmare Before Christmas zum "supernatural screwball" von John Carpenters Big Trouble in Little China oder Alex Cox' gutgelaunter und unverschämt positiver Science-Fiction-Apokalypse Repo Man. Und erzählt Roman Polanskis Blutsauger-Lustspiel The Fearless Vampire Killers nicht zuletzt von der Niederlage der Rationalität gegen ein Böses, das sich wie ein Virus verbreitet? (Michael Loebenstein, Jurij Meden, Christoph Huber)
 
Thematisieren möchten wir den offensichtlichen Mangel an Geschlechterdiversität in diesem Programm: Weibliche Stimmen – Autorinnen, Regisseurinnen – fehlen. Dieser Mangel ist der Beschaffenheit unserer Sammlung im Bereich des Genres der Komödie geschuldet. Sich auf eine Sammlung kuratorisch einzulassen bedeutet, ihren Reichtum zu entdecken, aber auch an ihre Grenzen zu stoßen, mit blinden Flecken und Auslassungen konfrontiert zu sein. Während wir die Vergangenheit nicht ändern können, müssen wir uns stets daran erinnern, diese Mängel offen und ehrlich anzusprechen.